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Rezensionen zu
Das Versprechen

Damon Galgut

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Auf den ersten Blick ist mit Das Versprechen von Damon Galgut im vergangenen Jahr ein klassischer Familienroman mit dem hochdotierten Booker Prize ausgezeichnet worden. Im Klappentext ist vom „Zerfall einer weißen südafrikanischen Familie“ die Rede, von „Dreißig Jahre politischen Umbruchs“. Wer nun aber eine epische, sich breit entrollende Geschichte erwartet, wird vom Text (äußerst positiv) überrascht. Die Art und Weise, wie der 1963 in Pretoria geborene Damon Galgut von der Burenfamilie Swart erzählt und einen weiten Bogen vom Jahr 1986 bis in die unmittelbare Gegenwart des Jahres 2018 schlägt, ist so fesselnd wie herausfordernd. Fesselnd, weil das Erzählte so illusionslos und bitter wie komisch und turbulent dargebracht wird; herausfordernd, weil das multiperspektivische Erzählen wie eine unruhige Kamera durch das Geschehen und die Reihen der Protagonist:innen fährt, vor harten Cuts und Perspektivwechseln auch inmitten eines Satzes nicht zurückschreckt, Closeups auf die Figuren, Bewusstseinsströme und innere Monologe mit bissigen, spöttischen Einwürfen einer übergeordneten Erzählinstanz und Lerser:innenansprache munter abwechselt und eine wirkliche Nähe zu den durch die Bank weg eher unsympathischen Protagonist:innen gar nicht erst aufkommen lässt. Am ehesten noch kommt Sympathie für Rachel Swart auf, die Mutter, die zu Beginn, man schreibt das Jahr 1986 und befindet sich noch in den letzten Zuckungen des Apartheid-Regimes, nur vierzigjährig an Krebs verstirbt. Zuvor hatte sie ihren jüdischen Glauben wieder angenommen, den sie für die Heirat mit dem Buren Manie abgelegt hatte. Diesem trotzt sie am Sterbebett das titelgebende Versprechen ab, der Schwarzen Hausabgestellten Salome, die nicht nur alle drei Kinder großgezogen, sondern auch sie bis zum Schluss aufopferungsvoll gepflegt hat, das kleine Häuschen, in dem sie mit ihrem Sohn lebt, zu übertragen. Abgesehen von der jüngsten Tochter Amor, die zu dem Zeitpunkt 13 Jahre alt ist und dem Versprechen gelauscht hat, ist keiner der Familienangehörigen in der Folge daran interessiert, dieses Versprechen einzulösen. Dabei sind gar nicht alle so rassistisch und dünkelhaft unterwegs wie Manies Schwester, „Tannie Marina“, und ihr Mann Ookie. Ignoranz und Gleichgültigkeit sind die vorherrschenden Gründe, das kleine, baufällige Häuschen, das durch einen Hügel, den „koppie“, vom Farmhaus getrennt liegt, nicht abzutreten. Auf diesem „koppie“ wurde Amor, als sie sechs Jahre alt war, Opfer eines Blitzeinschlags. Nicht nur einen Zeh und einen versehrten Fuß kostete sie das, man macht das Ereignis auch dafür verantwortlich, dass Amor irgendwie „anders“ ist. Sie pflegt von allen Geschwistern das engste Verhältnis zu Salome. Auch die verschiedenen Kirchen, denen die Familienmitglieder angehören, spielen im Buch eine unrühmliche Rolle, dienen sehr wenig der Versöhnung, sondern der Spaltung und verfolgen stets ihre eigenen Interessen. Sehr bald durchschaut man, welches Bauprinzip Damon Galgut für seinen Roman Das Versprechen verwendet hat. Vier Kapitel, vier Todesfälle, vier Beerdigungen. Nach 1986 finden sie 1995 – Nelson Mandela ist seit einem Jahr Präsident, die Apartheid vorüber -, 2004 - Thabo Mbeki, der als AIDS-Leugner traurige Berühmtheit erhielt, wurde als Präsident wiedergewählt - und 2018 – der korrupte Präsident Jacob Zuma trat erzwungenermaßen zurück - ,statt. Gut dreißig Jahre südafrikanische Geschichte, dreißig Jahre Gewalt, Hass und Rassismus, aus denen sich das Land bisher nicht wirklich befreien konnte. Dreißig Jahre einer ziemlich dysfunktionalen Familie, die ihren Platz im sich verändernden Land nicht recht zu finden scheint. Und dreißig Jahre eines nicht gehaltenen Versprechens, das als Fluch auf der Familie lastet wie das nicht eingehaltene Versprechen einer friedlichen, multikulturellen „Regenbogennation“, die Mandela bei seinem Amtsantritt im Sinn hatte, auf Südafrika. Durch einen Blick auf die Kapitelnamen erfährt man sehr schnell, dass auch Manie, Agnes und Anton zu Grabe getragen werden und nur die jüngste Tochter Amor, die sich früh von der Familie abgesetzt hat und lange Zeit als Krankenschwester HIV-Patienten betreut, als letzte der Swarts übrigbleibt. Mit ihrem Altruismus erscheint sie zunächst als einzige halbwegs sympathische Person im Roman. Aber ihre fast zwanghafte Art macht auch sie ambivalent. Und letztlich hat auch sie dreißig Jahre lang nicht viel mehr getan, als hin und wieder an das Versprechen, Salome das Haus zu überschreiben, zu erinnern. Diese bleibt bis zum Ende nahezu unsichtbar, ein Schatten. Das mag man kritisieren, letztendlich passt es aber zur Einstellung, die die Weißen gegenüber den Schwarzen lange Zeit hatten oder immer noch haben. Amor schenkt ihr schließlich das Haus und noch viel mehr. Ein Happy End ist das aber nicht. Die junge Generation Schwarzer, vertreten durch Salomes Sohn Lukas, nimmt das Geschenk, das nicht mehr als ein Almosen ist, nicht mehr demutsvoll an. Zuviel Hass und Aggression hat sich da verständlicherweise schon angestaut. Und außerdem beanspruchen bereits einst vom Land vertrieben Menschen dieses und fordern es zurück. Am Ende schließt Damon Galgut den Kreis in Das Versprechen. Amor gerät erneut in ein Gewitter am „koppie“. Ein zweiter Bogen, der sich schließt, gefällt mir weniger gut. Beginnt das erste Kapitel mit Amors erster Monatsblutung, endet das Buch mit deren Menopause. Da meint der Autor, von „trocken fallenden Kanälen“ und „ausgehendem Saft“ sprechen zu müssen. Noch anfügend, „womöglich war´s das“. Schade, dass er sich das nicht verkneifen konnte. Es ist meine einzige Kritik an diesem insgesamt sehr preiswürdigen Roman. Damon Galgut macht es seinen Leser:innen nicht unbedingt einfach, eine Identifikation mit seinen Protagonist:innen ist wegen der speziellen, unruhigen, sprunghaften Erzähltechnik kaum möglich, hinzu kommt eine Menge Spott und ein düsterer Humor, mit dem er auf sie schaut und die zusätzlich Distanz schaffen. Dennoch ist sein Blick immer auch einer mit Empathie. Einmal spricht er von „eine gewöhnliche Bande weißer Südafrikaner“, der schließlich auch er angehört. Das Buch ist illusionslos, bitter, komisch und unterhaltsam. Neben dem aus Sansibar stammenden Abdulrazak Gurnah (Literaturnobelpreis), der Simbabwerin Tsitsi Dangarembga (Friedenspreis des deutschen Buchhandels) und dem Senegalesen Mohamed Mbougar Sarr (Prix Goncourt) war Damon Galgut 2021 der vierte aus Afrika stammende Träger bedeutender internationaler Literaturpreise.

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Am ersten Tag nach Rachels Tod findet die Familie sich ein. Anton reist aus der Kaserne an, seine jüngere Schwester Amor wird aus dem Internat abgeholt. Sie treffen auf ihren Vater, ihre Schwester Astrid, Tante wie Onkel. Nach der Beerdigung zerstreuen sich die Swarts jedoch wieder in alle Himmelsrichtungen. Ohne zu ahnen, dass sie sich als Familie erst wieder in neun Jahre wiedersehen. Zeit, in der der letzte Wunsch Rachels und das Versprechen ihres Mann sich nicht erfüllen wird. Ein Versprechen, das wie ein Katalysator die Spannungen in der Familie befeuert, ein Versprechen, in dem sich die Beziehung zwischen Weißen und Schwarzen in Südafrika ablesen lässt – und nach dem Damon Galgut letztlich seinen preisgekrönten Roman benannt hat. Die Swarts zählen zu den vermögenden weißen Familien. Ihr Zuhause ist eine Farm vor den Toren Pretorias. Hermann „Mannie“ Albertus Swart verdient sein Geld mit einem gut gehenden Reptilienpark. Zu ihren Angestellten gehört auch das farbige Dienstmädchen Salome, die mit ihrem Sohn Lukas auf der Farm im Lambord-Haus wohnt. Rachels letzter Wille war es, dass sie dieses Haus sowie das Land, auf dem das Gebäude steht, erhält. Doch die Jahre vergehen, ohne dass Salome Hausbesitzerin wird. Die Geschwister Astrid, Anton und Amor treffen sich erst wieder, als Hermann nach einem tragischen Schlangenbiss stirbt. Astrid ist mittlerweile verheiratet und Mutter, Anton war nach seiner Fahnenflucht untergetaucht und wurschtelt sich durchs Leben, Amor hat ihre Heimat verlassen. Es werden fortan immer die Beerdigungen sein, zu denen sich die Swarts zusammenfinden. Stets in einem Abstand von neun Jahren, der auf den ersten Blick konstruiert erscheinen mag – oder auch wie ein Fluch. Denn die Familie reduziert sich merklich. Mal wird es ein Verbrechen, mal Selbstmord die Ursache sein. Und immer tiefer ziehen sich die Gräben zwischen den Familienmitglieder, die sich aus den Augen verlieren, immer verfallener wirkt die Farm, auf dem nach dem tragischen Tod Mannies Anton das Sagen hat, der mit seiner Frau das Erbe verprasst, der trinkt und spielt, erfolglos an einen Roman schreibt. Auch der einst erfolgreiche Reptilien-Park geht den Bach runter und wird zwangsversteigert. „Das Versprechen“ erzählt nicht nur die Geschichte einer Familie, sondern auch die des Landes Südafrika, in der zu Beginn Ende der 80er-Jahre noch Apartheid herrscht. Neun Jahre später ist Nelson Mandela Präsident, gegen Ende des Romans erlebt der Leser den Rücktritt Jacob Zumas. Das Ende der Apartheid-Gesetze bedeutet jedoch nicht, dass jegliche Unterdrückung und Ungleichbehandlung der schwarzen Bevölkerung Geschichte ist. Sie zeigt sich vielmehr im Privaten, im Alltag, in den Familien; wenn Antons Frau das Dienstmädchen demütigt oder dessen Sohn Lukas nie die Chance auf einen sozialen Aufstieg erhält, er vielmehr als Farmarbeiter Mannies Grab ausschaufelt. Das Gefühl, wirklich eine Gemeinschaft zu sein, ist von kurzer Dauer, Folge eines Sport-Events: der Rugby-WM im eigenen Land. Darüber hinaus werden die Protagonisten des Romans mit den großen Problemen des Landes konfrontiert: Gewalt und Kriminalität, Aids, Armut und Obdachlosigkeit. Das besondere stilistische Kunststück des Romans liegt in seinen teils plötzlichen Perspektivwechseln, die tiefe Einblicke in die Gedankenwelt und Mentalität der Figuren ermöglichen. Hinzu kommt eine Erzählstimme, die manchmal die Protagonisten anspricht, manchmal sich an den Leser richtet. Neben den Hauptfiguren lässt Galgut auch eine Reihe interessanter Nebenfiguren auftreten, wie beispielsweise einen Obdachlosen, der einst angesehen, mit Job und Familie, nun auf wenigen Quadratmetern Pappe nahe der Kirche schläft. Allgemein spielt die Religion eine gewichtige Rolle. Nicht nur wird jede Beerdigung in einer anderen Form – von jüdisch über niederländisch-reformiert bis katholisch – ausgerichtet. An ihren Würdenträgern lässt Galgut kein gutes Haar. Der eine Pfarrer ist geldgierig und hat Blutschande betrieben, der andere hält sich nicht an das Beichtgeheimnis. Verstärkt sich mit dem Verlauf des Romans der ironische Ton, sind die Beschreibungen der Kirche als Institution und ihrer höchsten Vertreter oft nur beißender Zynismus. Die Suche nach einem sympathischen Helden führt unweigerlich zu Amor, die als einzige einen Charakter und Herz beweist. Sie ist es, die immer wieder die Familie an das Versprechen erinnert und gar mahnt, von dieser dadurch auch als wunderlich und befremdlich wahrgenommen wird. An dem hohen finanziellen Erbe zeigt sie selbst kein Interesse, sie hat als einzige einen Job und arbeitet nach ihrer Rückkehr nach Südafrika als Krankenschwester, viele Jahre davon auf einer HIV-Station, wo sie dem Tod alltäglich begegnet. Ihr Leben ist ruhelos, sie lebt in verschiedenen Städten, hat mehrere Beziehungen, eine längere mit einer Frau. Der Abschied Amors und Salomes im letzten Abschnitt des Buches ist wohl die einzige wirklich berührende Szene des Romans. Für „Das Versprechen“ erhielt der südafrikanische Schriftsteller im vergangenen Jahr den renommierten Booker Prize und damit den höchsten britischen Literaturpreis verliehen, für den er bereits mehrfach nominiert war. Der Luchterhand Verlag zog die deutsche Übertragung um ein gutes Jahr vor; sie war erst für den Herbst 2022 vorgesehen. Galgut, 1963 in Pretoria geboren, zählt zu den namhaftesten Autoren seines Landes. Wie seine Heldin Amor machte er in der Kindheit eine dramatische Erfahrung: Während Amor einen Blitzschlag überlebt, gelang es Galgut, den Krebs zu besiegen. Mit seinem neuesten Roman hat er ein meisterhaftes Buch geschrieben, das große Geschichte und viele kleine Geschichten erzählt, das durch sein vielfältiges Figuren-Ensemble besticht und dessen Hauptthema, das Verhältnis zwischen Schwarz und Weiß, sich nicht nur auf Südafrika beziehen und weit allgemeiner anwenden lässt. Denn Rassismus ist das Gift vieler Gesellschaften.

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Es ist über vieles zu lesen. Die Familiengeschichte der Swarts ist das durchgehende Leitmotiv, und die privaten Ereignisse vor dem Hintergrund der Apartheid und des Wandels Südafrikas. Dann die Vereinnahmung von leichtgläubigen Menschen durch bigotte, geldgierige Prediger. Die schier unüberwindbare, tief verwurzelte Vorurteile, die Angst vor Veränderung und die Ahnung (Hoffnung für die einen, Befürchtung für die anderen), dass alles bleibt, wie es ist. Dazu immer, manchmal nur im Hintergrund, manchmal bestimmend, ein Staat, der das menschenverachtende Regime abschüttelt und für kurze Zeit wie ein Meteorit am Himmel alles überstrahlt. In dessen gewöhnlichem Alltag sich nach dem Ende der Euphorie zeigt, dass Demokratie und friedliches Miteinander Aufgaben sind, die sich immer wieder aufs neue stellen, mit ungewissem Ausgang. Was uns heute an Meldungen aus Südafrika über Kriminalität, Korruption und über eine auseinanderdriftende Gesellschaft erreicht – auch darüber liest man im Roman. Man folgt also ganz unterschiedlichen Erzählungen, die dazu noch Raum genug geben, vieles davon mit eigenen, persönlichen Bezügen zur Gegenwart zu verbinden; so wird für jede und jeden eine andere Seite des Romanes sichtbar und wichtig werden. Der Roman ist in vier Abschnitte unterteilt, jeder dreht sich um ein einschneidendes Ereignis in der Chronik der Familie, Jahre liegen dazwischen. Ich habe den ganzen ersten Abschnitt, jenen, in dem der Tod von Rachel betrauert wird, gebraucht, um mich in den Stil und die Art der Beschreibung hineinzufinden. Denn die Erzählungen sind nicht durchgehend; sie brechen ab, weil etwas anderes soeben wichtiger geworden ist, setzen sich erst später wieder fort. Alles greift dabei ineinander, vermengt sich für ein Stück des Weges, trennt sich dann für immer oder nur für eine kurze Zeit. Nach dem Beginn, der etwas Geduld erforderte, wurde das Buch für mich ein hin- und mitreißender Roman, voller klug gesponnener Verbindungen und Einblicke auf Kleines und Großes. Einblicke, wie sie nur jemand geben kann, der das Land in seinem Inneren kennt und der es versteht, Menschen zu beobachten. Die klare Sprache ist ein zusätzlicher Faktor, der dieses Buch für mich derart überzeugend macht (woran auch die Übersetzung durch Thomas Mohr einen bedeutenden Anteil hat). Wie die Biografien der Mitglieder der Familie Swart diese Menschen ganz großartig beschreiben, wie sich aus dem Verhältnis der Menschen zueinander immer wieder spannende, überzeugende Erzählungen voller tiefer Einblicke ergeben. Damon Galgut beschreibt alles so realistisch, so direkt aus dem Leben gegriffen, mit Details, die beinahe alles erfassen, was Menschen ausmachen kann.

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Zerfall

Von: Barbara Busch

21.01.2022

2020 ging der wichtigste britische Literaturpreis, der Booker Prize, vergeben für das beste Buch in englischer Sprache, an einen Debütroman: "Shuggie Bain" von Douglas Stuart. Der Preisträger des Jahres 2021 war dagegen bereits zum dritten Mal nominiert: Damon Galgut, geboren 1963 in Südafrika. Für seinen Roman "Das Versprechen" bekam er den Preis nun erstmals zugesprochen und reiht sich ein in eine Serie afrikanischer Preisträger 2021: Literaturnobelpreis für Abdulrazak Gurnah, Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für Tsitsi Dangarembga und Prix Goncourt für Mohamed Mbougar Sarr, um drei weitere zu nennen. Vier Jahrzehnte, vier Präsidenten, vier Beerdigungen Im Zentrum von Galguts Roman steht die weiße südafrikanische Mittelstandsfamilie Swart. Nach vier ihrer fünf Mitglieder sind die vier Teile benannt: „Ma“, eigentlich Rachel, „Pa“, eigentlich Herman Albertus, genannt Manie, „Astrid“ und „Anton“. Jeder Teil spielt in einem anderen Jahrzehnt, beginnend 1986 in der Endphase der Apartheit unter Frederik Willem de Klerk. Die jüngste Tochter der Swarts, die dreizehnjährige Amor, wird zur Beerdigung ihrer Mutter aus dem Internat abgeholt. Es gibt Unruhen in den Townships, der Ausnahmezustand sowie eine Nachrichtensperre sind verhängt und die Familie versammelt sich an ihrem Wohnsitz, einer Farm außerhalb Pretorias. Salome, die schwarze Hausangestellte und hingebungsvolle Pflegerin der Mutter in ihren letzten Lebensmonaten, bleibt aus Rassegründen von der Trauerfeier ausgeschlossen. Für Amor beginnt nach dem Tod der Mutter ein Kampf für die Umsetzung eines Versprechens, das der Vater seiner Frau kurz vor deren Tod gegeben hat: Salome soll für ihre Verdienste das kleine Haus erhalten, in dem sie mit ihrem Sohn lebt. Auch in den weiteren Teilen, die nach dem Ende der Apartheit unter der Präsidentschaft von Nelson Mandela 1995, unter Thabo Mbeki 2004 und Jacob Zuma 2018 spielen, kommen die verbliebenen Familienmitglieder in der zunehmend herunterkommenden Farm zu Beisetzungen zusammen. Jede findet nach einem anderen Ritus und unter anderen gesellschaftlichen Vorzeichen statt. Parallel zu den politischen Umwälzungen im Land zerfällt die Familie und immer steht das unerfüllte Versprechen im Raum, das aller Leben beeinflusst. Wenig Grund für Optimismus Analog zur derzeitigen politischen Situation Südafrikas durchzieht auch den Roman vorwiegend Tristesse, scheitern doch alle Figuren an den eigenen Träumen, am Alkohol, an den sich ändernden Lebensbedingungen im Land, an ihren Versprechen – nicht nur an dem für Salome – oder verschreiben sich einem spirituellen Heilsbringer. Trotzdem gibt es gleich ein ganzes Bündel von Gründen, warum ich "Das Versprechen" so überaus gerne gelesen habe und mich über die Wahl der Jury freue. Die Idee, die Handlung anhand von Beerdigungen zu erzählen, ist ebenso originell wie brillant umgesetzt, die Verbindung zwischen der politisch-gesellschaftlichen Entwicklung Südafrikas und der Familiengeschichte funktioniert bestens und die Ambivalenz der Familienmitglieder und Nebenfiguren ist, soweit sie als Schwarze nicht „unsichtbar“ bleiben, stimmig herausgearbeitet. Besonders beeindruckt hat mich die außergewöhnliche Erzähltechnik mit einem Bewusstseinsstrom im Präsens in einer stimmlichen Kakophonie wechselnder Perspektiven. Dazwischen werden mal die Figuren, mal die Leserinnen und Leser direkt angesprochen und es wird nicht mit Humor, Ironie und Sarkasmus gespart. Ein Roman also, der mir nicht nur Spaß gemacht und mich unterhalten, sondern mir die neuere Geschichte Südafrikas nähergebracht hat: "Denn die Familie Swart hat so gar nichts Besonderes oder Bemerkenswertes, o nein, sie gleicht der Familie von der Nachbarfarm und der Nachbarfarm der Nachbarfarm, nur ein gewöhnlicher Haufen weißer Südafrikaner, und wenn du es nicht glaubst, brauchst du nur einmal darauf zu achten, wie wir sprechen. […] Unsere Seele ist irgendwie verrostet, regenfleckig und verbeult, und das hört man unserer Stimme an." (S. 278)

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Romane, die sich mit den politischen Verhältnissen in Südafrika auseinandersetzen, gibt es viele, aber keiner ist so brillant wie „Das Versprechen“, der zurecht vergangenes Jahr mit dem Booker Prize ausgezeichnet wurde. Über einen Zeitraum von über drei Jahrzehnten nimmt uns der südafrikanische Autor Damon Galgut mit in eine wohlhabende Farmersfamilie und zeigt uns deren allmählichen Verfall, der ursächlich mit einem nicht eingelösten Versprechen einhergeht. Ende der achtziger Jahre, die Apartheid neigt sich, zumindest auf dem Papier, dem Ende zu. Die Swarts, weiße Oberschicht, Vater, Mutter und drei Kinder. Rachel, die Mutter, liegt im Sterben und ringt ihrem Ehemann das Versprechen ab, der schwarzen Frau, die sie während ihrer Krankheit hingebungsvoll gepflegt hat, das Häuschen auf dem Land der Familie, in dem sie lebt, zu übereignen. Einzig Amor, die jüngste Tochter, ist Zeugin dieses letzten Wunsches und ein Leben lang von diesem Schuldgefühl des nicht eingehaltenen Versprechens geplagt, denn so schnell es gemacht wird, so schnell wird es auch schon vergessen. Und wie der Putz von den Wänden des einst herrschaftlichen Wohnsitzes bröckelt, so zerfällt auch die Familie in den kommenden Jahrzehnten und löst sich allmählich auf. Es dauert über dreißig Jahre, bis das Versprechen eingelöst und der Wunsch der Sterbenden erfüllt wird. Die Beschreibung dieser dysfunktionalen Familie auf dem Weg zwischen Schuld und Vergebung steht stellvertretend für die südafrikanische Post-Apartheid Gesellschaft. Beide eint die Suche nach Erlösung, wissend, dass sie ihre Versprechen von Freiheit, Gerechtigkeit, Versöhnung und Gleichheit nicht eingelöst haben. Über dreißig Jahre sind seither vergangen, und dennoch sind die großen Veränderungen in der Regenbogennation bis heute ausgeblieben. Nichts ist gut in Südafrika.

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Damon Galgut ist der dritte südafrikanische Autor, der den Booker Prize gewann (nach J. M. Coetzee und Nadine Gordimer). Der in 2021 frisch gekürte Roman „Das Versprechen“ (im O-Ton gleichlautend `The Promise`) wurde von Thomas Mohr umsichtig im Affenzahn übersetzt und liegt seit einem Tag vor Weihnachten in deutscher Übersetzung vor! Was für ein Roman, er wird natürlich momentan Land auf Land ab rezensiert und ist aus meiner Sicht zu Recht so hochgelobt, auch wenn er nicht ganz trivial zu lesen ist. Es geht um eine weiße südafrikanische Farmerfamilie, die einen großen Landbesitz außerhalb von Pretoria hat. Wir starten im Jahr 1986 und die Mutter ringt auf dem Sterbebett ihrem Mann das Versprechen ab, dass er ein Haus auf ihrem Grundstück der schwarzen Haushälterin Salome überschreibt. Die jüngste Tochter Amor wohnt dieser Versprechung bei und bringt diese Erwartung der verstorbenen Mutter fortwährend in den kommenden 31 Jahren immer wieder zur Sprache. Es werden zeitliche Sprünge gemacht (9-10 Jahre) und wir landen immer wieder bei einer Beerdigung, veränderter politischer Gegebenheiten, aber immer noch verharrte Gedanken und keine Einlösung des Versprechens. Was dem Autor wahnsinnig gut gelingt ist die Verzahnung der südafrikanischen Geschichte in jüngerer Vergangenheit von der Apartheid in eine Demokratie. Lässt dabei aber die Sichtweisen der Weißen und der Schwarzen nie außer Acht und toppt das Ganze noch mit Galgenhumor. Es ist ein schweres Thema, aber Damon Galgut hat es wirklich sarkastisch gut auf den Punkt gebracht. Aber keine reine Lobeshymne. Es kostet schon eine gewisse Konzentration diese knapp 360 Seiten zu lesen, denn der Autor nutzt einen besonderen Schreibstil einen „Stream of Consciousness“, wobei er ständig und immer wieder von einem Kopf in den nächsten springt und wir Leser:innen sind dabei. Manches Mal springt er mitten im Satz, oft im Absatz und auch so immer wieder. Dazu kommt ein allwissender Erzähler, der uns auch ab und an direkt anspricht. Großer Vorteil dieser Erzählweise ist ein so umfassendes Bild der Gegebenheiten, dass kein Blickwinkel, kein Gefühl und keine Meinung verborgen bleibt. Titelgebend ist zwar der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte „Das Versprechen“, für mich liegt der Fokus auf dem daraus resultierenden Generationenkonflikt und die verqueren Ansichten der älteren weißen Familienmitglieder.

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Sie war doch gerade einmal vierzig Jahre alt... Rachel Swart, Mutter dreier Kinder, stirbt an Krebs. Ein massiver Einschnitt in das Leben der Familie, deren Farm sich vor den Türen Pretorias befindet. Mit dem Tod von Rachel treten Versprechungen an die Oberfläche, für die zunächst niemand und schon gar nicht das Familienoberhaupt Manie die Verantwortung übernehmen will. Rachel hat kurz vor ihrem Tod dem Dienstmädchen Salome zugesichert, dass sie das Haus, in dem sie wohne, als Geschenk erhalten würde – ein Zuhause, das sie ihr Eigen nennen kann. Diese Worte geraten mehr und mehr in Vergessenheit; nur Amor, das jüngste der Swart-Kinder, rüttelt immer wieder am Gewissen von Vater Manie, Schwester Astrid und Bruder Anton. Die Jahrzehnte gehen ins Land, die Schicksalsschläge über der Familie häufen sich an, doch das Versprechen bleibt uneingelöst. Die Geschwister nähern sich an und entfernen sich, bis es dreißig Jahre später zu einem erneuten Aufeinandertreffen von Amor und Salome kommt... „Er ist wider Erwarten beeindruckt, auch wenn er ansonsten ein Totalausfall ist, Mbeki weiß, wie man Klassen kingeln lässt. Kassen klingeln, Mist, verdammter.“ (S. 259) Breit spannt Damon Galgut seinen erzählerischen Bogen in seinem jüngst mit dem Booker Prize ausgezeichneten Roman „Das Versprechen“. Er porträtiert ein Land, das sich im politischen wie gesellschaftlichen Umbruch befindet, in dem die Apartheid Spuren hinterlassen hat, die trotz der demokratischen Neuordnung niemals ausgelöscht werden können. Das titelgebende „Versprechen“ steht dabei sinnstiftend für eben diese vergangenheitsbewältigenden Strategien Südafrikas, zeigt es doch die Verfehlungen und Ungerechtigkeiten, das Sich-Nicht-Verlassen-Können im Kleinen. Damon Galgut erweist sich in „Das Versprechen“ als beeindruckender Erzähler. Seine Perspektiven wechseln permanent, fluide, sein Blick springt von den Protagonist*innen so geschmeidig zu vermeintlichen Nebenfiguren, wie es im Filmischen wahrscheinlich nur durch eine endlose, ungeschnittene Szene möglich ist. Sein Tonfall erinnert dabei gelegentlich an Ali Smith, wendet sich die Erzählstimme in mal pointiert-direkter, mal in sarkastisch-humoristischer Art von Zeit zu Zeit an die Leser*innen selbst – oder ist es doch eine zwischengeschaltete Instanz, ein metaphysisches In-Between, das adressiert wird? Mit diesen Unsicherheiten spielt Galgut auch auf inhaltlicher Ebene, erfahren wir doch immer wieder Neues, im Verborgenen Gebliebenes über Amor, Anton und Astrid, deren Leben als über die Jahre verteilter A-Wurf nicht unterschiedlicher verlaufen könnten. Vor allem Amor hat an den Erlebnissen ihrer Kindheit und Jugend als frühe Halbwaise merklich zu kämpfen, hat Schwierigkeiten, neue Bindungen einzugehen, und flüchtet aus dem wohlbekannten Umfeld, mal hierhin, mal dorthin. Nur das „Versprechen“ an Salome lässt sie niemals los, selbst dann nicht, wenn es scheinbar viel zu spät ist, wenn sich die Gesellschaft und die Realität verändert haben. „Das Versprechen“ hält ebendieses: ein höchst spannendes und intensives Familienporträt im Lichte der jüngeren südafrikanischen Entwicklungen. Im vielschichtigen Figuren-Potpourri finden sich diverse Identifikationsmöglichkeiten; sprachlich wie narratologisch extrem stark komponiert und ausgearbeitet. Ein sehr würdiger Booker-Prize-Gewinner, der viel Lust auf die anderen Romane Galguts macht!

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1986 auf der Farm der Weißen Familie Swart vor den Toren Pretorias. Am Anfang war das Versprechen: ein Versprechen, welches die 40-jährige, krebskranke Rachel ihrem alkoholkranken, bigotten und treulosen Ehemann Manie am Sterbebett abnimmt. Als Anerkennung für ihre langjährigen Dienste soll der Schwarzen Haushälterin Salome das von ihr und ihrem Sohn bewohnte kleine Lombard-Haus als Eigentum überschrieben werden. Die zum damaligen Zeitpunkt zwölfjährige feinfühlige Amor ist die einzige heimliche Zeugin dieser für den Romanverlauf entscheidenden und schwerwiegenden Szene. Unermüdlich wird sie die nächsten Jahre und Jahrzehnte ihren Vater sowie ihre beiden Geschwister Astrid und Anton an die Einlösung des letzten Wunsches ihrer Mutter erinnern und dabei auf erheblichen Widerstand stoßen. Eine Reihe von tragischen und makabren Todesfällen folgen. Amor wird das letzte überlebende Familienmitglied sein, das für Gerechtigkeit, Versöhnung und Ausgleich sorgen kann. Wird sie den letzten Wunsch ihrer Mutter letztendlich erfüllen? Oder bleibt sie ebenso unsichtbar wie Salome, der in diesem Buch nur eine (stimmige) Nebenrolle zukommt? Wann ist es zu spät Gutes zu tun? Vor dem Hintergrund der Geschichte Südafrikas, beginnend bei den letzten Jahren der Apartheid bis zur Präsidentschaft von Jacob Zuma, spannt Damon Galgut mit „Das Versprechen“ eine eindringliche Familiensaga und eine kritische gesellschaftspolitische Parabel über mehrere Jahrzehnte in vier Akten. Die dysfunktionale Burenfamilie Swart fungiert dabei als Projektionsfläche und Spiegelbild einer Gesellschaft im Übergang des repressiven Apartheidsystems zur sogenannten, vermeintlich demokratischen „Regenbogennation“. Das Lesen von „Das Versprechen“ erfordert enorme Konzentration und Aufmerksamkeit. Eine literarische, scheinbar nie endende Achterbahnfahrt, die atemlos zurücklässt und keine Pause gönnt. Ein unaufhörlicher „Stream of Consciousness“, vielstimmige und wechselnde Erzählperspektiven, moralische und allwissende Erzählinstanzen, der erzählerische Geist Rachels, die direkte Ansprache in der „Du-Perspektive“. Der Roman gleicht einer Art Drehbuch, das auf Tragikkomik beruht, metaphorisch und thematisch unglaublich dicht geschrieben ist und von einer gelungen eingestreuten Prise Humor, Ironie und Groteske umrahmt wird. Kritisch anzumerken ist das Phänomen des Bodyshamings und die aufgrund ihres körperlichen Erscheinungsbilds diskriminierende Abwertung vieler Figuren. Aus meiner Sicht nicht notwendig, um zu verstehen, wen oder was die Figuren verkörpern sollen. Gleichzeitig zeigt diese Zeichnung authentisch, wie verachtend und destruktiv Menschen leider miteinander umgehen können. Gewünscht hätte ich mir natürlich auch die Perspektive von Salome - allerdings hätte der Roman dann nicht mehr als solches Sinnbild und Gleichnis funktionieren können, wie er das tut. Für mich insgesamt ein sehr lesenswertes Highlight! Und vor allem ein Buch, bei dem ich mir sicher bin, dass ich es eines Tages nochmal lesen möchte. Das spricht wohl für sich. Aus dem südafrikanischen Englisch von Thomas Mohr.

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