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Rezension zu
Das Versprechen

Jenseits des koppie

Von: LiteraturReich
02.03.2022

Auf den ersten Blick ist mit Das Versprechen von Damon Galgut im vergangenen Jahr ein klassischer Familienroman mit dem hochdotierten Booker Prize ausgezeichnet worden. Im Klappentext ist vom „Zerfall einer weißen südafrikanischen Familie“ die Rede, von „Dreißig Jahre politischen Umbruchs“. Wer nun aber eine epische, sich breit entrollende Geschichte erwartet, wird vom Text (äußerst positiv) überrascht. Die Art und Weise, wie der 1963 in Pretoria geborene Damon Galgut von der Burenfamilie Swart erzählt und einen weiten Bogen vom Jahr 1986 bis in die unmittelbare Gegenwart des Jahres 2018 schlägt, ist so fesselnd wie herausfordernd. Fesselnd, weil das Erzählte so illusionslos und bitter wie komisch und turbulent dargebracht wird; herausfordernd, weil das multiperspektivische Erzählen wie eine unruhige Kamera durch das Geschehen und die Reihen der Protagonist:innen fährt, vor harten Cuts und Perspektivwechseln auch inmitten eines Satzes nicht zurückschreckt, Closeups auf die Figuren, Bewusstseinsströme und innere Monologe mit bissigen, spöttischen Einwürfen einer übergeordneten Erzählinstanz und Lerser:innenansprache munter abwechselt und eine wirkliche Nähe zu den durch die Bank weg eher unsympathischen Protagonist:innen gar nicht erst aufkommen lässt. Am ehesten noch kommt Sympathie für Rachel Swart auf, die Mutter, die zu Beginn, man schreibt das Jahr 1986 und befindet sich noch in den letzten Zuckungen des Apartheid-Regimes, nur vierzigjährig an Krebs verstirbt. Zuvor hatte sie ihren jüdischen Glauben wieder angenommen, den sie für die Heirat mit dem Buren Manie abgelegt hatte. Diesem trotzt sie am Sterbebett das titelgebende Versprechen ab, der Schwarzen Hausabgestellten Salome, die nicht nur alle drei Kinder großgezogen, sondern auch sie bis zum Schluss aufopferungsvoll gepflegt hat, das kleine Häuschen, in dem sie mit ihrem Sohn lebt, zu übertragen. Abgesehen von der jüngsten Tochter Amor, die zu dem Zeitpunkt 13 Jahre alt ist und dem Versprechen gelauscht hat, ist keiner der Familienangehörigen in der Folge daran interessiert, dieses Versprechen einzulösen. Dabei sind gar nicht alle so rassistisch und dünkelhaft unterwegs wie Manies Schwester, „Tannie Marina“, und ihr Mann Ookie. Ignoranz und Gleichgültigkeit sind die vorherrschenden Gründe, das kleine, baufällige Häuschen, das durch einen Hügel, den „koppie“, vom Farmhaus getrennt liegt, nicht abzutreten. Auf diesem „koppie“ wurde Amor, als sie sechs Jahre alt war, Opfer eines Blitzeinschlags. Nicht nur einen Zeh und einen versehrten Fuß kostete sie das, man macht das Ereignis auch dafür verantwortlich, dass Amor irgendwie „anders“ ist. Sie pflegt von allen Geschwistern das engste Verhältnis zu Salome. Auch die verschiedenen Kirchen, denen die Familienmitglieder angehören, spielen im Buch eine unrühmliche Rolle, dienen sehr wenig der Versöhnung, sondern der Spaltung und verfolgen stets ihre eigenen Interessen. Sehr bald durchschaut man, welches Bauprinzip Damon Galgut für seinen Roman Das Versprechen verwendet hat. Vier Kapitel, vier Todesfälle, vier Beerdigungen. Nach 1986 finden sie 1995 – Nelson Mandela ist seit einem Jahr Präsident, die Apartheid vorüber -, 2004 - Thabo Mbeki, der als AIDS-Leugner traurige Berühmtheit erhielt, wurde als Präsident wiedergewählt - und 2018 – der korrupte Präsident Jacob Zuma trat erzwungenermaßen zurück - ,statt. Gut dreißig Jahre südafrikanische Geschichte, dreißig Jahre Gewalt, Hass und Rassismus, aus denen sich das Land bisher nicht wirklich befreien konnte. Dreißig Jahre einer ziemlich dysfunktionalen Familie, die ihren Platz im sich verändernden Land nicht recht zu finden scheint. Und dreißig Jahre eines nicht gehaltenen Versprechens, das als Fluch auf der Familie lastet wie das nicht eingehaltene Versprechen einer friedlichen, multikulturellen „Regenbogennation“, die Mandela bei seinem Amtsantritt im Sinn hatte, auf Südafrika. Durch einen Blick auf die Kapitelnamen erfährt man sehr schnell, dass auch Manie, Agnes und Anton zu Grabe getragen werden und nur die jüngste Tochter Amor, die sich früh von der Familie abgesetzt hat und lange Zeit als Krankenschwester HIV-Patienten betreut, als letzte der Swarts übrigbleibt. Mit ihrem Altruismus erscheint sie zunächst als einzige halbwegs sympathische Person im Roman. Aber ihre fast zwanghafte Art macht auch sie ambivalent. Und letztlich hat auch sie dreißig Jahre lang nicht viel mehr getan, als hin und wieder an das Versprechen, Salome das Haus zu überschreiben, zu erinnern. Diese bleibt bis zum Ende nahezu unsichtbar, ein Schatten. Das mag man kritisieren, letztendlich passt es aber zur Einstellung, die die Weißen gegenüber den Schwarzen lange Zeit hatten oder immer noch haben. Amor schenkt ihr schließlich das Haus und noch viel mehr. Ein Happy End ist das aber nicht. Die junge Generation Schwarzer, vertreten durch Salomes Sohn Lukas, nimmt das Geschenk, das nicht mehr als ein Almosen ist, nicht mehr demutsvoll an. Zuviel Hass und Aggression hat sich da verständlicherweise schon angestaut. Und außerdem beanspruchen bereits einst vom Land vertrieben Menschen dieses und fordern es zurück. Am Ende schließt Damon Galgut den Kreis in Das Versprechen. Amor gerät erneut in ein Gewitter am „koppie“. Ein zweiter Bogen, der sich schließt, gefällt mir weniger gut. Beginnt das erste Kapitel mit Amors erster Monatsblutung, endet das Buch mit deren Menopause. Da meint der Autor, von „trocken fallenden Kanälen“ und „ausgehendem Saft“ sprechen zu müssen. Noch anfügend, „womöglich war´s das“. Schade, dass er sich das nicht verkneifen konnte. Es ist meine einzige Kritik an diesem insgesamt sehr preiswürdigen Roman. Damon Galgut macht es seinen Leser:innen nicht unbedingt einfach, eine Identifikation mit seinen Protagonist:innen ist wegen der speziellen, unruhigen, sprunghaften Erzähltechnik kaum möglich, hinzu kommt eine Menge Spott und ein düsterer Humor, mit dem er auf sie schaut und die zusätzlich Distanz schaffen. Dennoch ist sein Blick immer auch einer mit Empathie. Einmal spricht er von „eine gewöhnliche Bande weißer Südafrikaner“, der schließlich auch er angehört. Das Buch ist illusionslos, bitter, komisch und unterhaltsam. Neben dem aus Sansibar stammenden Abdulrazak Gurnah (Literaturnobelpreis), der Simbabwerin Tsitsi Dangarembga (Friedenspreis des deutschen Buchhandels) und dem Senegalesen Mohamed Mbougar Sarr (Prix Goncourt) war Damon Galgut 2021 der vierte aus Afrika stammende Träger bedeutender internationaler Literaturpreise.

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