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Rezensionen zu
Am Meer

Elizabeth Strout

Die Lucy-Barton-Romane (4)

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Am Meer

Von: Letteratura

09.07.2024

In „Am Meer“, dem neuesten bei uns erschienenen Roman der US-amerikanischen Autorin Elizabeth Strout, gibt es ein Wiedersehen mit Lucy, die Fans der Schriftstellerin schon aus ihren Romanen „Die Unvollkommenheit der Liebe“, „Alles ist möglich“ und „Oh, William!“ kennen. Die Romane können problemlos unabhängig voneinander gelesen werden. Im aktuellen Buch nun befinden wir uns zu Anfang des Jahres 2020. Während die meisten dem Virus, das sich langsam über die Welt und hier insbesondere auf dem nordamerikanischen Kontinent ausbreitet, noch recht gleichgültig gegenüberstehen, ist William, Lucys Ex-Mann, sich sicher, dass diese Krankheit gefährlich ist, und auch, dass es eine ganze Weile dauern wird, bis sich alles wieder einigermaßen normalisieren wird. Wie lange? Völlig ungewiss. William jedenfalls ist sich sicher, dass er raus muss aus der Stadt, und Lucy soll mitkommen. Ihre Ehe ist lange vorbei, doch sie sind sich freundschaftlich sehr verbunden. Er hat ein Haus in Maine organisiert, in dem sie beide unterkommen können, dort ziehen sie ein und leben einen gemeinsamen Alltag, und von diesem Alltag erzählt „Am Meer“. Das Leben ist einerseits eintönig, und Lucy wünscht sich nichts sehnlicher, als dass die Pandemie und die Lockdowns endlich vorbei sind. Andererseits ist die Situation auch bedrohlich, in Lucys Bekanntenkreis gibt es einige schwere Krankheitsfälle, und nicht alle überleben. Große Sorgen macht sie sich um ihre Töchter, beide aus der Ehe mit William, bei ihnen spielen sich einige Dramen ab. Elizabeth Strout schafft es in „Am Meer“ erneut, einerseits über die großen Themen des Lebens zu schreiben, über Tod und Liebe, über die verschiedenen Beziehungen, nicht nur partnerschaftliche, sondern auch die zu den eigenen Kindern, zu Geschwistern und zu Freunden. Andererseits sind es die kleinen Begegnungen, die Begebenheiten des Alltags, auf die sie blickt. Immer sehr genau beobachtend, immer mit Liebe zu ihren Figuren, und immer ganz nah an ihnen dran. Ihre Lucy ist reflektiert, doch sie hat auch ihre rauen, ihre vielleicht manchmal sogar unsympathischen Seiten. Dennoch schließe ich sie wieder ins Herz, folge ihr nur zu gern durch ihre Zeit am Meer, auch wenn die Pandemie und ihre Auswirkungen so gut erzählt werden, dass der Roman mich teils allzu realistisch zurückgeschickt hat in die Zeiten des Lockdowns. Nicht nur die Pandemie bestimmt das Leben Lucys und Williams, sie werden auch erschüttert vom Mord an George Floyd und vom Sturm aufs Kapitol im Januar 2021, um nur zwei wichtige Ereignisse zu nennen. Das Private und das Politische sind voneinander nicht zu trennen, auch wenn „Am Meer“ sich vor allem intensiv seinen Protagonist:innen widmet. Das ist warmherzig und unterhaltsam, und irgendwann läuft sogar Strouts zweite große (Anti-)Heldin Olive Kitteridge durchs Bild. Im nächsten Roman, der in den USA noch dieses Jahr erscheinen wird, werden Lucy und Olive offenbar aufeinandertreffen. Man darf also gespannt sein.

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«Es gab etliches, was ich an diesem Märzmorgen nicht wusste: Ich wusste nicht, dass ich meine Wohnung nie wiedersehen würde. Ich wusste nicht, dass ein Freundin von mir und jemand aus meiner Familie an dem Virus sterben würde. Ich wusste nicht, dass die Beziehung zu meinen Töchtern sich auf eine Weise verändern würde, die ich nie für möglich gehalten hätte. Ich wusste nicht, dass mein Leben von Grund auf anders werden würde. … Nichts von alldem ahnte ich, als ich an diesem Märzmorgen mit meinem kleinen lila Rollkoffer zu Williams Auto ging.» Lucy Barton erzählt uns mehr aus ihrem Leben, in ihrer feinsinnigen, von den Härten des Lebens nicht immer verschonten Heldin. Ihr Ex-Mann William («Oh William»), ein Naturwissenschaftler, Parasitologe, hat eine Ahnung, was mit dem unbekannten Virus auf die Menschen zurollen könnte und mietet ein Haus am Meer in Crosby, in Maine, in das er Lucy mitnimmt, gelegen auf einer abgelegenen Landzunge, weit weg von allem. Für nur ein paar Wochen, bis alles vorbei ist – aber schnell ist ein Jahr vergangen … Die beiden New Yorker verbringen den gesamten langen Lockdown in Maine; altvertraut, aber doch wieder neu im engen Zusammenleben. Lucys zweiter Mann ist verstorben und William lebt mit der dritten Frau in Scheidung. Die beiden sind immer noch beste Freunde und die Eltern ihrer beiden Töchter Chrissy und Becka. Und während dieser Zeit in Maine wird eine Menge passieren. «Ich hatte es so wenig kommen sehen wie die meisten. Aber William ist Naturwissenschaftler, er sah es kommen.» Kaum in Croby angekommen, hört man von immer mehr Toten in NY, eine Schriftstellerkollegin von Lucy, mit der sie sich treffen wollte, selbst aber kurz vorher abgesagt hatte, ist verstorben. Das sitzt! Gut, das man hier ist, aber es ist kalt am Meer, in diesem Haus, in Manhattan hatten bereits die Bäume geblüht. Beide machen lange Spaziergänge, jeder für sich. Hin und wieder kommt Bill zu Besuch, Williams Freund, der manchmal seine Frau mitbringt. Sie sitzen im Garten, weit auseinander mit Masken. Die Leute wollen die Städter hier nicht haben, drum besorgt Bill ein Mainer Nummernschild und so manches Meer. Mit den Töchtern halten sie online Kontakt – auch sie mit ihren Männern hatten New York verlassen. Mehr oder weniger abgeschottet in einem Haus während der Corona-Pandemie – und trotzdem bleiben die Katastrophen nicht aus, die das Leben schreibt … Bekannte Figuren, wie die grantige Mathematiklehrerin Olive Kitteridge, tauchen auf, die nun in einem Altersheim lebt. «Welche Gnade, dass wir nicht wissen, was uns im Leben erwartet.» Gut, dass man nicht weiß, was in der Zukunft passieren wird. Lucys Schwester, eine fanatische Christin, entwickelt sich zur Schwurblerin, die jeden Schutz ablehnt. Gott wird es richten. Fatal – der Bruder steckt sich beim Besuch im Umfeld an und verstirbt. Bei den Töchtern wackeln die Ehen. William leidet daran, dass er seine jüngste Tochter (3. Ehefrau) nicht sehen kann, und er entwickelt sich zum feinfühligen Kümmerer für die gesamte Familie. Er schafft es sogar, seine Halbschwester zu treffen, Kontakt mit ihrer Familie zu schließen, die in Maine leben. Bisher hat sie ja nichts von ihm wissen wollen. Lucy und William hängen aufeinander und kommen bestens miteinander aus, sie erinnern sich und nähern sich mehr an. Kann das gut gehen? «Lucy, diesen Leuten steht das Wasser bis zum Hals. Und die, denen es besser geht, sind blind dafür. Denk an meine vernagelte Reaktion eben – mich zu wundern, dass diese Charlene bei der Tafel hilft! Wir nehmen sie nicht für voll, und das merken sie. Das ist keine gute Situation.» Eine Erzählung voller Nebengeschichten. Lucy beobachtet sehr genau und sie lotet ihre Gefühle aus. Nicht alles ist gut. Auch nicht in der Erinnerung. Immer wieder denkt sie in Sequenzen an ihre bitterarme Kindheit – oder eine Szene, die einen Vortrag vor desinteressierten Studenten beschreibt, die sie schamlos offen ablehnen: Eine alte Frau, die für alte Frauen Bücher schreibt … «Ich dachte: Eine einzige Stunde lang habe ich an diesem Tag an meinem alten College die Demütigung meiner Kindheit wieder mit solcher Macht empfunden.» William vergöttert sie und er tut alles, Lucy wieder für sich zu gewinnen. Die TV-Bilder machen den Lockdown auch nicht besser: zuerst die vielen Toten, dann verstörende Bilder vom Sturm aufs Capitol nach Trumps Abwahl oder George Floyd, der von einem Polizisten erstickt wird; ein zerrissenes Land in allen Bereichen. Lucy macht sich Gedanken: «…wenn ich konstant das Gefühl hätte haben müssen, schief angesehen zu werden von den wohlhabenden Leuten in diesem Land, die sich über meine Religion und meine Waffen lustig machten? … Ihnen war jedes Selbstwertgefühl ausgetrieben worden.» Man kann meinen, hier erzählt jemand einfach eine Geschichte. Aber dies ist viel mehr! Gut geschrieben, und beobachtet, Leerstellen, die Fantasie und die Gedanken des Lesenden ausfüllen: Familienkrisen, Verschwörungstheorien, Schreibblockade, das Warten auf einen Impfstoff – so war es, mag man zustimmen. Zwischendurch Gesellschaftskritik und historische Ereignisse, die eingeflochten werden, ohne darauf herumzureiten, alles abgerundet mit schwarzem Humor – ein Gesellschaftsroman. Ein wundervoller Roman! Elizabeth Strout wurde 1956 in Portland, Maine, geboren. Sie zählt zu den großen amerikanischen Erzählstimmen der Gegenwart. Ihre Bücher sind internationale Bestseller. Für ihren Roman »Mit Blick aufs Meer« erhielt sie den Pulitzerpreis. »Oh, William!« und »Die Unvollkommenheit der Liebe« waren für den Man Booker Prize nominiert. »Alles ist möglich« wurde mit dem Story Prize ausgezeichnet. 2022 wurde sie für ihr Gesamtwerk mit dem Siegfried Lenz Preis ausgezeichnet. Elizabeth Strout lebt in Maine und in New York City.

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Ich bin absolut hingerissen von diesem Roman. Am Meer ist ein wunderbares Buch, das mich hervorragend unterhalten hat. Aber noch mehr beeindruckt haben mich die vielen kleinen Passagen, die von äußerst genauer Beobachtungsgabe und von großer Lebensweisheit zeugen. Die Freuden und die Abgründe menschlichen Zusammenlebens, gesellschaftliche Entwicklungen und politische Haltungen werden mit wenigen treffenden Worten in genialen Formulierungen auf den Punkt gebracht. Mit diesem perfekten Roman hat Elizabeth Strout sich einmal mehr selbst übertroffen. Lucy Barton, die erfolgreiche Schriftstellerin, die aus materiell und emotional ärmlichsten Verhältnissen stammt, einmal geschieden, einmal verwitwet, vertraut ihrem Ex-Mann und bestem Freund William, als der sie gleich zu Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 überzeugt, mit ihm New York City zu verlassen und sich an die Küste von Maine zurückzuziehen, nach Crosby, in eine Kleinstadt, die Strout bereits für andere Romane als Kulisse diente. Hier treffen wir u.a. Bob Burgess wieder, den Protagonisten aus „Das Leben, natürlich“. Nur für ein paar Wochen, denkt Lucy, und muss ihren Irrtum schnell erkennen. Für viele Monate auf sich selbst zurückgeworfen kehrt sie in ihre Vergangenheit zurück und reflektiert Ereignisse und Begegnungen aus ihrem Leben. Vieles wird sich nach dem Abklingen der Pandemie geändert haben, doch das weiß sie natürlich in diesem Moment noch nicht. Auch für die Beziehung zu ihren Töchtern ist die Zeit des Lockdowns ein harter Einschnitt. Alles, worüber Strout schreibt, ist ganz unspektakulär. Doch genau in dieser Alltäglichkeit liegt die Besonderheit ihres Schreibens, denn alles Gesagte könnte jeder oder jedem von uns so passieren. Strout bzw. Lucy ist eine feine Beobachterin. In der Abgeschiedenheit der Kleinstadt wird ihr deutlich bewusst, wie tief gespalten die amerikanische Gesellschaft ist. Viele Leute dort sind Anhänger des amtierenden Präsidenten, was Lucy zunächst nicht versteht. William erklärt es ihr so: „Sie sind wütend. Sie kommen auf keinen grünen Zweig im Leben. Schau dir deine Schwester an. Zurzeit bringt sie sich in ihrem Job in Gefahr, weil sie keine andere Wahl hat. Aber abgehängt bleibt sie trotzdem. ..... , diesen Leuten steht das Wasser bis zum Hals. Und die, denen es besser geht, sind blind dafür. ...... Wir nehmen sie nicht für voll, und das merken sie. Das ist keine gute Situation.“ (S. 164) Diese kurze Analyse, die die Situation voll auf den Punkt bringt, ließe sich m.E. auch auf Deutschland übertragen. „Dieses Land ist so zerrissen, Lucy. Die ganze Welt ist zerrissen. Es kommt mir vor, als .... als wären alle auf der Welt wild geworden, und ich kann nur sagen, meiner Meinung nach steuern wir auf eine Katastrophe zu. Jeder geht jedem an die Gurgel. Ich weiß nicht, wie lange unsere Demokratie dem noch standhalten kann.“ (S. 167) Treffender als mit diesen Worten, die Strout William in den Mund legt, kann man es nicht sagen. Lucy und William, die die Beengtheit ihrer New Yorker Wohnungen mit dem Luxus eines Hauses mit Veranda getauscht haben, sind sich ihrer Privilegiertheit sehr bewusst. Sie genießen in Crosby eine Freiheit im Lockdown, die sie in New York nicht leben könnten. Sie können Spaziergänge machen und Leute im Freien treffen, ihren Tätigkeiten können sie von hier aus nachgehen oder auch nicht, denn beide sind finanziell so aufgestellt, dass sie keiner Arbeit mehr nachgehen müssen. Nichts davon nimmt Lucy, die es auch anders kennt, selbstverständlich. Vielleicht ist es die intime Kenntnis beider Welten, die sie gegenüber Andersdenkenden stets neutral bleiben lässt. Sie blickt mit ebensoviel Güte und Empathie auf die Anhänger des Präsidenten wie auf Ihresgleichen. „Am Meer“, im Original „Lucy by the Sea“ lässt vom Titel her Alles und Nichts vermuten. Vordergründig erzählt der Roman vom Lockdown und von vielen kleinen oder größeren Ereignissen im Leben Lucy Bartons. Aber auf der Metaebene ist es ein großer Gesellschaftsroman, der das breite Spektrum der amerikanischen Lebenswirklichkeit, die m.E. übertragbar auf andere westliche Länder ist, aufzeigt. Ich mag alle Bücher von Elizabeth Strout sehr, aber dieses hier vielleicht ein kleines bisschen mehr als die anderen, weil es ein Buch zur Zeit ist. Ganz große Leseempfehlung!

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Wer schon Romane von Elizabeth Strout gelesen hat, weiß worauf sich einzulassen ist, wenn Lucy Barton wieder auftaucht und das im Kontext der Coronapandemie. Zunächst war ich wenig begeistert, dass mir dieses unliebsame Thema wieder begegnete, aber Elizabeth Strout hat wie eh und je mit ihren bekannten Figuren ein gesellschaftliches Panorama einer abgeschlossenen Periode geschrieben. Fast aufarbeitend. Zu Recht lesenswert, zeigt sie uns doch wie die Pandemie Menschen zugleich zueinander und auseinander getrieben hat. Es beginnt mit dem Auftakt der Pandemie, die Schriftstellerin Lucy Barton wird von ihrem Ex-Mann William angerufen, mit dem sie zwei bereits erwachsene Töchter haben. Er als Naturwissenschaftler ahnt was alle auf die globale Menschheit zukommt und er bittet Lucy mit ihm nach Maine zu fahren und dort in ein Haus an der Küste zu flüchten. Der Lockdown hat alles verändert, nicht Tage, nicht Wochen sind sie dort im Haus, sondern Monate. Nicht sonderlich gemocht von den lokalen Menschen, ein Mikrokosmos wird hier beleuchtet. Der Roman wird aus Lucys Perspektive erzählt. Alles wird durchlebt, ihre Panikattacken, ihre Liebe zu ihren Töchter, die Sorge um das Leben im kleinen und im Großen. Spannend ist der Bogen des Mikrokosmos des eigenen Lebens im Lockdown der gut kombiniert ist mit den politischen Geschehnissen in dem Trump Aufwind bekam. Durch alltägliche Begegnungen und Beobachtungen versucht Elizabeth Strout Erklärungen zu finden für gesellschaftliche Strukturen und hinterfragt gekonnt im Roman. Im Original in den USA bereits 2022 erschienen und nun von Sabine Roth für uns in Deutsche übersetzt. Fazit: Auch hier wieder bringt Elizabeth Strout ein breites Spektrum zu Papier.

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„Am Meer“, ins Deutsche übersetzt von Sabine Roth, war mein erstes Buch von Elizabeth Strout und erst jetzt ist mir aufgefallen, dass es tatsächlich der vierte Band einer Reihe ist. Gemerkt habe ich das beim Lesen überhaupt nicht, obwohl ich jetzt natürlich umso neugieriger auf die drei Vorgänger-Romane um die New Yorker Schriftstellerin Lucy Barton bin. In „Am Meer“ verlässt Lucy im März 2020 gemeinsam mit ihrem Exmann William New York, um sich in einem einsam gelegenen Haus am Meer in Maine vor der beginnenden Corona-Pandemie in Sicherheit zu bringen. Während sie das Weltgeschehen aus ihrem Exil heraus verfolgt, lernt sie auch so einiges über sich selbst und die Beziehungen zu William und ihren erwachsenen Töchtern. Es ist ein ruhiger, ein entschleunigter Plot über ein Leben im Lockdown, in dem wir uns wohl alle ein Stück weit wiederfinden. Elizabeth Strout gelingt es unglaublich gut, Lucys Gefühls- und Gedankenwelt während einer Pandemie, die alles zum Stillstand brachte, in Worte zu fassen. Und auch Lucy selbst ist eine außergewöhnliche Figur, denn sie beobachtet ihre Umwelt überaus feinsinnig, hinterfragt ihre eigenen Positionen und lässt Raum für die Einstellungen anderer – ist dabei aber keineswegs unfehlbar. Trotzdem: Von Lucy können wir alle noch etwas lernen. Eindrucksvoll fand ich auch, wie sie sich allmählich aus der anfänglichen Dunkelheit, die die Flucht aus ihrer Heimatstadt, die Trennung von ihrer Familie und die monatelange Isolation mit sich bringen, herauskämpft, indem sie neue Freundschaften schließt, ihre Umgebung kennen- und lieben lernt und sich auch ihrer einstigen großen Liebe William langsam wieder annähert. Die Geschichte entbehrt dabei jedoch jeglichen Kitsches – vielmehr wirkt sie wie mitten aus dem Leben gegriffen, wie etwas, das wir alle so oder so ähnlich hätten erleben können oder vielleicht sogar erlebt haben. Lucys nüchterner und zugleich emotionaler Blick auf eine für die USA in jeder Hinsicht turbulente und fordernde Zeit, eröffnet auch den Leser*innen noch einmal eine neue Perspektive. Elizabeth Strout greift in diesem Zusammenhang auch Themen wie Verlust, Entfremdung und zweite Chancen auf und sie fügen sich ganz wunderbar in diese leicht melancholische und doch hoffnungsvolle Geschichte ein. Einzig in der Mitte hat die Handlung für meinen Geschmack leicht stagniert, bevor sie gegen Ende wieder in ihr zwar gemächliches, aber absolut harmonisches Tempo zurückfand. „Am Meer“ ist deshalb für mich ein sehr einfühlsam und unaufgeregt erzähltes Buch, das vor allem von der Gefühls- und Gedankenwelt seiner Protagonistin Lucy, aber auch von den vielen kleinen und großen zwischenmenschlichen Beziehungen lebt, die trotz oder gerade wegen der Pandemie die Handlung bestimmen. Für mich eine echte Entdeckung und auf jeden Fall eine Empfehlung!

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Elizabeth Strout nimmt sich in all ihren Werken, und das ist in ihrem neuesten, Am Meer, nicht anders, die ganz großen Dinge zum Thema. Und das auf so leichte, witzige wie schonungslose und nachdenkliche Art. Dabei verweilt Strout meist in kleinen Provinzstädtchen in Maine. Selten macht sie mal einen Abstecher nach New York, einen ihrer Romane lässt sie in der Heimat einer ihrer prominentesten Protagonist:innen, Lucy Barton, in deren trister Heimatstadt in Illinois spielen. Das hervorstechendste Merkmal aller Strout-Romane (es sind mittlerweile neun, auf Englisch liegt bereits der zehnte vor) ist die Liebe, die den Figuren von der Autorin ganz offensichtlich entgegengebracht wird. Ohne sie zu schonen oder zu idealisieren spürt man diese große Zuneigung, diese tiefe Empathie, und wie durch Zauberhand bringt die Leserin diese sehr bald selbst auf. Dabei sind diese Protagonist:innen alle keine ganz einfachen Charaktere (aber wer ist das schon). Sie haben ihre Macken, Ecken und Kanten und frönen meistens einem kräftigen Skeptizismus der Welt und ihren Mitmenschen gegenüber. Die kratzbürstige Olive Kitteridge aus Mit Blick aufs Meer ist da ein Beispiel. Immer wieder kommt Elizabeth Strout in lockerer Abfolge zurück auf diese Figuren. Manchmal sind sie nur flüchtige Passanten, manchmal spricht man nur über sie, manchmal nehmen sie die Hauptrolle ein. So wie Lucy Barton, die Elizabeth Strout in Am Meer nun schon zum dritten Mal ins Zentrum eines Romans stellt. Dabei ist der letzte Lucy Barton-Roman, Oh, William, erst 2021 erschienen. Aber kaum war dieser abgeschlossen, begann die Coronapandemie und die Autorin war noch so nah an ihren Figuren dran, dass sie sie offensichtlich da nicht alleinlassen konnte. Und außerdem bot sich im Lockdown viel Zeit zum Schreiben. Wir stehen also zu Beginn des Romans am Anfang der Pandemie. Es ist die erste Märzwoche 2020 und Lucys Ex-Mann William, der Wissenschaftler, Parasitologe ist, ahnt, was da auf die Welt zukommt. Er überredet Lucy, New York zu verlassen und mit ihm in ein Haus an der Küste von Maine zu ziehen. Lucys alte Bekannte Elsie Waters war wie Williams bester Freund Jerry bereits am Virus verstorben und sein Bekannter Bob Burgess bietet ihm das Haus im kleinen Städtchen Cosby (wir kennen es als Heimatort von Olive Kitteridge) günstig an. Wir kennen auch Bob Burgess aus einem früheren Strout-Roman (The Burgess Boys, dt. Das Leben natürlich), vermutlich mein allerliebster von ihr. Wir begleiten nun Lucy und William in ihrem Lockdown, treffen hin und wieder Bob Burgess, mit Masken und reichlich Abstand natürlich, verfolgen die Sorge um die gemeinsamen Töchter (Trennung, Fehlgeburt und Ehekrise inklusive), besuchen Williams erst im letzten Roman gefundene Halbschwester Lois Bubar und Lucys in prekären Verhältnissen lebende Geschwister Pete und Vicky und bekommen nebenbei die Ereignisse dieser Jahre wie ein düsteres Hintergrundrauschen mit: der Mord an George Floyd im Mai, die Massenproteste, die Wahl Joe Bidens im November 2020 und der Sturm aufs Kapitol im Januar 2021. Nicht nur die Pandemie, sondern auch der zunehmende Riss in der amerikanischen Gesellschaft beunruhigt. Die Isolation belastet Lucy, deren Sicht der Dinge wir durch die gewählte Ich-Perspektive erfahren. Panikattacken und die Schwierigkeit, wieder mit dem Schreiben zu beginnen. (Lucy ist Schriftstellerin) Aber Lucy, die aus sehr prekären Verhältnissen stammt, weiß auch ihre sehr privilegierte Lage zu erkennen, versucht, selbst Trump-Anhänger wie die Reinigungskraft des örtlichen Altenheims Charlene Bibber, die ihren Job verliert, weil sie Impfgegnerin ist, irgendwie zu verstehen. Deren Wut angesichts der Verachtung, die ihnen oft entgegengebracht wird. Es gelingt ihr nicht wirklich. Lucy erzählt uns die Geschichte ihrer Zeit im Haus Am Meer wie einer Freundin, im Plauderton, warmherzig und manchmal sehr emotional. Emotionaler als man das von vorhergehenden Romanen Strouts kennt. Das ist wohl der Krisensituation geschuldet. Lucy bleibt aber immer selbstreflektiert, skeptisch, ironisch. Ich bin ihr wieder sehr, sehr gerne gefolgt und verlasse meine literarische Wahlfamilie nur ungern. Schön, dass es schon bald einen neuen Roman von Elizabeth Strout geben wird, in dem sie noch mehr ihrer Figuren aufeinandertreffen lassen wird.

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Lucy Barton, erfolgreiche Autorin, Mitte sechzig, lebt in New York. David, ihr zweiter Ehemann, ist gestorben und um sich abzulenken plant sie eine Lesereise durch Europa. Doch der Beginn der Corona Pandemie verhindert dieses Vorhaben. William, Lucys Exmann und Wissenschaftler, erkennt die damit einhergehende Gefahr und überredet Lucy mit ihm vorübergehend in ein gemietetes Haus ans Meer zu ziehen. Nach Main. Weit weg von allem. Jeder von uns hat diese Pandemie erlebt und es ist schon beim Lesen dieser Zeilen klar, dass dieser Rückzug aus New York nicht nur vorübergehend ist. So erkennt auch Lucy bald, dass der notdürftig gepackte Koffer nicht ausreichen wird, um den Lockdown in Maine zu überdauern. Das Gesundheitssystem bricht zusammen, die ersten Todesfälle im Freundeskreis und aus Angst, dass sie und William das Virus aus New York verschleppen, werden sie von Bewohnern in Maine angefeindet. Mit „Am Meer“ geht Strout zurück in die Zeit der Pandemie, aber ein Corona-Roman ist es dennoch nicht. Es geht um alles das, was diese Situation auslöst: es geht um Selbstzweifel, um die Spaltung eines Landes, um Kindheit, um Liebe und Tod – und es geht um nichts Geringeres als darum, was das Leben für Lucy Barton ausmacht. Und schon ist man mittendrin in dem leisen-souveränen Erzählton von Strout. Fast wie beiläufig erscheinen die Beschreibungen des Alltags ihrer Protagonistin Lucy, deren Bekenntnisse, Kindheitserinnerungen, Skepsis. Es geht um Stärken und Schwächen der Gesellschaft, um Widersprüche in gefestigten Denkweisen und um die eigene Erkenntnis des Nicht-Wissens. „Ich wusste nicht, dass ich meine Wohnung nie wiedersehen würde. .. Ich wusste nicht, dass mein Leben von Grund auf anders werden würde. (…) Wie auch schon in anderen Büchern ist „Am Meer“ ein tiefgründiger Gesellschaftsroman. Und wie auch in anderen Büchern ist es ist das Unaufgeregte, das vermeintlich Unscheinbare, dass die Romane von Elizabeth Strout ausmachen. Der aktuelle Roman „Am Meer“ macht da keine Ausnahme. Ein großes Glück.

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Elizabeth Strout - Am Meer Deutsch von Sabine Roth „Die Frage, warum manche mehr Glück haben als andere - es gibt wohl keine Antwort darauf.“ (S. 48) Elizabeth Strout erzählt - einfach und brillant zugleich - sehr unaufgeregt und damit absolut authentisch, tagebuchartig vom Leben und (vom Leben in) der Pandemie. Es ist für mich das erste Buch, dass die Pandemie als „Protagonist“ einbindet und es hat mich sehr bewegt. Wie ganz nebenbei werden die großen Themen des Lebens und von Beziehungen leicht zugänglich aufgemacht, zumindest oberflächlich bearbeitet und stehen gelassen. Denn wie im echten Leben, wenn du glaubst, du hast die Krise überwunden, Zeit für ein Happy End, zieht schon der nächste Sturm auf. Es ist für mich das erste Buch mit der Protagonistin Lucy Barton und ich hatte nicht das Gefühl etwas zu vermissen. Ein wunderbares Lesevergnügen für ein paar ruhige Stunden.

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