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Rezension zu
Tag der Befreiung

George Saunders | TAG DER BEFREIUNG

Von: Bookster HRO
24.06.2024

Der ungekrönte König der Kurzgeschichte ist und bleibt in meinen Augen George Saunders. Seine beiden Storybände ZEHNTER DEZEMBER und I CAN SPEAK!™ sind beste Beispiele dafür, wie man mit unkonventionellen Mitteln auf zwanzig, dreißig Seiten ein ums andere Mal ganze Welten erschaffen kann. Auch sein bislang einziger Roman LINCOLN IM BARDO zählt zu meinen All-Time-Favourites. Nun liegt mit TAG DER BEFREIUNG eine neue Sammlung seines Schaffens der letzten Jahre vor und auch diesmal überzeugt der Texaner auf ganzer Linie. Das große Thema, das als roter Faden durch die neun Geschichten führt, ist die amerikanische Gesellschaft, die nach den schwierigen Präsidentschaften von hochproblematischen Leuten wie George W. Bush und Donald Trump – den ich nicht mal Politiker nennen mag – tief gespalten ist und seit einigen Jahren eine Aggressivität an den Tag legt, die gar nicht so recht ins 21. Jahrhundert passen will. Es geht um Menschen, deren Bereitschaft zur Eskalation so dermaßen schnell erreicht ist, dass man sich wundert, dass sie sich nicht schon längst alle gegenseitig zerfleischt haben. Meistens fängt es mit Lappalien an, es wird getuschelt, Neid und Missgunst werden geschürt, jemand wird beleidigt und schon gehen sich alle an den Kragen. Auch die deutlich sichtbare Zweiklassengesellschaft in den USA ist eines seiner Themen, die Macht der Reichen über die Armen, der Kampf der Mächtigen über die Machtlosen. Saunders‘ Geschichten spielen nicht alle in der heutigen Zeit; es gibt auch Storys, in denen er orakelt, wohin das alles führen kann. Im titelgebenden Text TAG DER BEFREIUNG zum Beispiel werden Menschen zu Unterhaltungszwecken bei einer neureichen Familie gehalten. Ihnen wurde jede Erinnerung an ihr früheres, vermeintlich unwürdiges Leben ausgelöscht und seitdem proben sie wie in einer Theatergruppe historische Szenen, die sie für die High Society auf die private Bühne bringen. Der Sohn der Familie kommt mit dieser modernen Sklavenhaltung nicht klar und versucht, die Ärmsten während einer Vorstellung zu befreien, was in einem Massaker endet. Doch es stellt sich heraus, dass die Lakaien gar nicht befreit werden wollen… TAG DER BEFREIUNG ist politischer als Saunders‘ frühere Storysammlungen. Die Texte entstanden in den Jahren zwischen 2013 und 2022, die meisten von ihnen für die renommierte Kultur-Zeitschrift The New Yorker. In diesen Jahren wurden politisch sehr viele Grenzen überschritten. Was die US-Machthaber der letzten Zeit ihrem Land und dem Volk angetan haben, zeigt sich ganz deutlich in der teils verbitterten, teils gewaltbereiten Gesellschaft – und George Saunders ist der Chronist dieser Entwicklungen. Mit großem schriftstellerischem Einfallsreichtum, der oft nicht gleich auf den ersten Blick greifbar wird, spürt Saunders die tiefen Verwerfungen seines Landes auf, führt manche Ideen ad absurdum, schreibt über andere ganz unverblümt. In jedem Fall aber sind die Storys literarische Großtaten, jede einzelne von ihnen. Ich bin mal wieder überwältigt.

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