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Rezensionen zu
Zwischen Welten

Juli Zeh, Simon Urban

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Ich war sehr neugierig auf das neue Buch von Juli Zeh, da mich ihre Geschichten entweder begeistern oder aber enttäuschen. Neugierig war ich aber auch, ob man merkt, dass es einen Co-Autor, nämlich Simon Urban, gegeben hat. Auf jeden Fall kann ich aber sagen: Es ist ein Buch, das mich begeistert hat. Stefan ist ein erfolgreicher Journalist, als er zufällig seine ehemalige Studienkollegin Theresa in Hamburg trifft, die das Studium abgebrochen hatte, um den landwirtschaftlichen Betrieb ihres verstorbenen Vaters in Brandenburg zu übernehmen. Doch das Treffen läuft nicht sehr harmonisch und endet in einem Streit. Trotzdem bleiben die beiden in Kontakt – und tauschen sich über Email und WhatsApp aus; über ganz verschiedene Dinge, aber gerade bei politischen Themen geraten sie immer wieder aneinander. Theresa ist verheiratet und hat zwei Kinder, doch eigentlich bleibt für die Familie keine Zeit, denn die verbringt ihre Zeit fast ausschließlich auf ihrem Hof, um ihn vor dem finanziellen Ruin zu retten. Schuld an diesem Debakel sieht sie in der verfehlten Landwirtschaftspolitik. Zwar sind ihr Klimaschutz und Energiepolitik wichtig, die Bewegung verschiedener Aktivisten empfindet sie aber als vertane Liebesmühen. Auch die Diskussion ums Gendersternchen findet sie sinnlos, da sie Gleichberechtigung nicht an Sprache alleine festmachen kann. Stefan sieht diese Dinge alle ganz anders – Friday for Future findet er großartig, das Gendersternchen einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung, außerdem arbeitet er stetig an sich selbst, immer politisch korrekt aufzutreten und zu agieren. Dass die beiden immer wieder in Streit geraten mit ihren gegensätzlichen Vorstellungen, kann man sich gut vorstellen. Dabei hat jeder gute Argumente für seine Sichtweise, und ich konnte bei vielen Themen beide Seiten gut verstehen. Ich mochte diese Auseinandersetzung um aktuelle Themen, die mich immer wieder hat innehalten lassen, um meine eigene Meinung zu hinterfragen. Beide Figuren sind in ihrem Kontext gut und konsequent gezeichnet – Theresa als Bio-Bäuerin im Kampf ums Überleben des eigenen Hofs und Stefan als Journalist in einem Kampf ums Grundsätzliche, aber eben auf dem Papier. Ich kann nicht sagen, dass ich die Charaktere mochte, eher ist es so, dass ich die Streitgespräche und auch die Auswirkungen auf die Beziehung untereinander gerne verfolgt habe. Ich kann nicht verleugnen, dass ich anfangs immer an „Gut gegen Nordwind“ denken musste, da manche Szene durchaus auch schmunzeln lässt, letztlich aber bleibt lediglich die Form des reinen Email-Romans als Parallele – die Inhalte unterscheiden sich dann doch beträchtlich. Auch sprachlich hat mich das Hörbuch angesprochen – beide haben eine ganz eigene Stimme. Damit meine ich nicht nur die Erzählstimme, also den Stil, denn jeder hat da eine ganz eigene Kommunikationsform, sondern auch die Sprecher. Max Urbacher hat eine klare, eher jugendliche Stimme, die wunderbar zu Stefan passt, der sich immer politisch korrekt auszudrücken versucht und der dadurch immer ein wenig distanziert und trocken rüberkommt. Julia Nachtmann hat den stets etwas nörgelig wirkenden Ton von Theresa sehr gut eingefangen, die immer sagt, was sie denkt und fühlt – wodurch sie sehr authentisch und nahbar wirkt. Ich habe das Hörbuch wirklich mit Spannung verfolgt und war froh, dass eine Romanze zwischen den beiden Hauptfiguren von Anfang an ausgeschlossen war. Leider gibt es dann doch eine Wendung, die mir nicht gefallen hat und wegen der ich auch einen halben Stern abziehe. Gelungen ist dann aber das Ende – es ist ganz anders als erwartet, und hier hat mich das Autorenduo kalt erwischt; dabei ist es ein sehr schlüssiges Ende, das nicht klarer die beiden Positionen hätte zeigen können. Offen bleibt für mich aber die Frage – wie haben die beiden das Buch geschrieben? Ist Juli Zeh die weibliche, Simon Urban die männliche Erzählstimme? Oder haben beide alles zusammen geschrieben? Das würde mich wirklich sehr interessieren. Ein wirklich gutes Hörbuch, das immer noch nachhallt und dem ich 4,5 von 5 Sternen gebe.

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Aufwühlend

Von: Werner Lukaszewicz aus Sinzheim

06.02.2023

Ich war sehr gespannt auf den neuen Roman von Juli Zeh. Verwundert war ich, dass sie diesen mit einem zweiten Autor schreibt, den ich bislang nicht kannte. Mit großer Vorfreude auf das, was ich vorher so mitbekommen hatte, stürzte ich mich in das Leseabenteuer. Es ist schon komisch. Dieser Stil mit den beiden Protagonisten, die sich WhatsApp-Nachrichten und Emails im Wechsel schreiben. Zunächst konnte ich mich damit nicht so recht anfreunden, zumal mich beim Journalisten Stefan das extreme gendern echt nervte. Irgendwann gewöhnte ich mich dann daran und aufgrund der teils hochaktuellen, wunderbar eingebauten Sequenzen (Klimapolitik etc.), blieb das Buch kurzweilig und nahm zum Schluss massiv an Fahrt auf. Beklemmend fand ich besonders die Sache mit den digitalen Anfeindungen in den (a)sozialen Netzwerken. Hier wird eindrücklich beschrieben, wie man innerhalb kürzester Zeit auseinandergenommen werden kann. Für mich ein eindrücklicher, aufwühlender Roman, der einen nachdenklich zurücklässt.

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Klappentext Zwanzig Jahre sind vergangen, als sich die Landwirtin Theresa und der Journalist Stefan zufällig Wiederbegegnung. Aus unterschiedlichen Lebensentwürfen sind gegensätzliche Haltungen geworden: Klimapolitik, Gendersprache, Rassismusvorwürfe - es ist, als liefen die Gräben einer gespaltenen Nation mitten durch ihre Beziehung. Kann ihre Freundschaft die Kluft noch überbrücken? Cover Das Cover ist wieder ganz schlicht, so wie man es von Juli Zeh gewohnt ist. Schreibstil Der Schreibstil ist angenehm und packend. Inhalt/Rezension Stefan und Theresa kennen sich aus der Studienzeit, beide haben unterschiedliche Lebensweisen eingeschlagen. Als sie sich wieder treffen, prallen diese aufeinander. Auch als die beiden versuchen aufeinander zu zugehen und von vorne zu beginnen, kommen sie immer wieder an ihre Meinungsverschiedenheiten heran und tragen diese aus. Unterschiedliche Themen, wie z.B. der Klimaschutz oder die Gleichberechtigung werden angesprochen und haben mich ,durch die gegensätzliche Sichtweise, zum Nachdenken angeregt. Man liest die unterschiedlichen WhatsApp- und Telegramnachrichten und verfolgt auch den Emailaustausch der beiden Protagonisten, das war für mich erst etwas gewöhnungsbedürftig, dann hat es mich aber gefesselt und überzeugt. Ich konnte das Buch nicht mehr aus den Händen legen und bin begeistert von der Erzählweise und der Thematik des Buches. Fazit Wieder ein tolles Buch von Juli Zeh, ich freue mich schon auf weitere. Zum Buch Autoren: Juli Zeh, Simon Urban Verlag: Luchterhand Buchlänge: 444 Seiten

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Rezension zu Zwischen Welten

Von: Uljana Brunzema aus Bonn

02.02.2023

Der neue Roman der beiden Co-Autoren Juli Zeh und Simon Urban trifft einen wie ein Blitzschlag. In Form eines modernen Briefromans, wechselnd mit spritzigem oft witzigem Whatsapp-Schlagabtausch, bekommen wir als Leser das ganze Universum unserer gespaltenen West-Ost-, Stadt-Land-. Elite-Prekariat-, Intellektuellen-Landarbeiter-, Aktivisten- und Medienjournalisten-Landschaft vor Augen geführt. Das 343 Seiten starke Werk ist ein wahrer Pageturner und besticht durch seine brillante Sprache, die sowohl Juli Zeh, als auch Simon Urban zu eigen ist. Juli Zeh ist bekanntermaßen schon eine Meisterin der verschiedenen Perspektiven, die eine Bandbreite verschiedener Realitäten nebeneinander stellen kann, ohne einzelne zu diffamieren und zu canceln. Durch das Co-Writing mit Urban gelingt noch mehr Weitblick und Objektivität. Das Sujet ist die Auseinandersetzung zweier alter Studienfreunde, Theresa, die Familie hat, verheiratet ist und einen Milchwirtschaftshof in Brandenburg betreibt, und Stefan, der ein leitender Zeitungsjournalist in Hamburg ist, , Hipster, alleinstehend, narzisstisch. Beide treffen sich durch Zufall nach 20 Jahren wieder und der Kontakt lebt wieder auf, sie beginnen sich zu schreiben, fast täglich, sie gewinnen Einblicke in das Leben des jeweils andern, manche Vorurteile werden bestätigt, viele Illusionen, zum Beispiel von Stefan über das entspannte gute Landleben, zerbrechen. Theresa beschreibt ihr Leben auf dem Hof „Kuh & Co“, die harten Anforderungen des Alltags, die Anfechtungen, die großen wirtschaftlichen Probleme und aus ihrem Erzählen erfährt man viel über die haarsträubenden Verhältnisse im Agrarland Deutschland. Die rechtliche Lage treibt die Bauern im wahrsten Sinne des Wortes in den Abgrund und den Ruin. Theresa beschreibt die Situation oft satirisch, aber zugleich so, dass einem das Lachen im Hals stecken bleibt, so wenn der Agrarberater mit seinen Lederschuhen über den Kuhfladen-befleckten Hof stakst, „wie ein Kind im Konfirmationsanzug“, und sie über „Change-Requests“ und „Benchmarks“ belehren will. Umgekehrt scheint Stefan zunächst im Elfenbeinturm, in einer gentrifizierten Elite Bubble zu leben, aber auch hier trügt der Schein. Üble Mobbing-Aktionen gehen aufs Gemüt, der permanente Geltungsdruck ist hoch, Whistleblower verleumden auch Stefan, er wird Opfer einer miserablen Medienkampagne und droht seinen Job zu verlieren. Umwelt-Aktivisten sind plötzlich mit von der Partie, es geht um den Ukraine-Krieg, Gender-Fragen, das Klima-Thema, die AFD, die Digitalisierung und Rassismus. Alle Themen sind drängend und es gibt kein wahr und falsch mehr. Und genau das ist die Stärke dieses Romans: die große perspektivische Vielfalt und Ambivalenz. Die einzige Überlebensstrategie scheint es in unserer grob zerrütteten Gesellschaft zu sein, in Dialog zu treten, hinzuschauen, und dazubleiben, auch wenn man mit komplett konträren Meinungen konfrontiert wird. Die Geschichte mutiert zum Ende hin immer mehr zum Politthriller und die Ereignisse überstürzen sich derart fulminant, dass man nur noch atemlos weiterlesen kann. Alles eskaliert, aber so, dass es genauso passiert sein könnte und die Weichen der Gesellschaft genauso gestellt sind. Aktivisten gehen bis vors Parlament, Stefans große Zeitung nimmt eine ungeahnte Wende und das Ende ist ein großer literarischer und politischer Clou. Literaturkritiker haben den Autoren Oberflächlichkeit in der Zeichnung ihrer Protagonisten vorgeworfen, aber da sollte man vielleicht bedenken, dass man einem Briefroman von dieser gesellschaftspolitischen Brisanz keine klassische epische Tiefe abverlangen kann. Das ist nicht das Thema des Werkes. Es geht um unsere deutsche, sehr gespaltene Erregungskultur, die Übermacht der Medien, Fake News und den Umgang miteinander. Und da kann man, auf absolut brillante, intelligente und beißend komische Art sehr viel aus diesem Werk lernen. Streit- und Debattenkultur vom Feinsten, gewürzt mit viel Satire.

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Vor zwanzig Jahren lebten die beiden Studenten Theresa und Stefan in einer WG in Münster zusammen und studierten beide Germanistik. Sie waren wie Bruder und Schwester füreinander, bis Theresa in einer „Nacht und Nebel“ Aktion auszog. Sie kehrte zurück nach Brandenburg zu ihrer Familie und führte nach dem Tod ihres Vaters den Landwirtschaftsbetrieb weiter. Von Stefan richtig verabschiedet hatte Theresa sich nie. Erst zwanzig Jahre später treffen sich die beiden in Hamburg bei einer Fahrt in der U-Bahn wieder. Das kurze Treffen der beiden endet allerdings in einem Streit. Zu unterschiedlich die jetzigen Lebensumstände, zu unterschiedlich sind ihre Sichtweisen. Doch die Bio-Milchbäuerin und der Kulturjournalist bleiben dennoch in Kontakt und tauschen sich von nun an per Mail und Nachrichtendiensten sowohl über ihr berufliches und privates Leben als auch über die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen des Landes aus. Wird ihre alte Freundschaft diese kontroversen Diskussionen aushalten? Die beiden Autoren Juli Zeh und Simon Urban haben den Roman so konzipiert, dass sich die beiden Hauptprotagonisten ausschließlich über ihre E-Mails bzw. Handynachrichten austauschen. Darin diskutieren die beiden hochaktuelle und brisante gesellschaftspolitische Themen. Es geht um die Genderthematik, die Klimakrise, den Ukrainekrieg, aber auch darum wie Politiker mit Bürgern umgehen, die in Eigeninitiative Verbesserungsvorschläge für bestehende Missstände vor Ort erarbeiten und darum, weshalb sich Teile der Bevölkerung von der Politik allein gelassen fühlen. Der „Briefaustausch“ der beiden Mittvierziger behandelt aber auch aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen, wie z.B. die Macht der sozialen Medien oder die vorherrschende Debattenkultur, die es möglicherweise gar nicht mehr gibt. Die beiden Protagonisten stehen an sich für den Titel des Buches. Ihr „Schlagabtausch“ bewegt sich auch im übertragenen Sinn zwischen den Welten. Sie stehen für Großstadt und Landleben, für Ost und West, für Politikverdrossenheit und Aktivismus, für Familie und Singlehaushalt, für Frau und Mann. Die schriftlichen Debatten von Theresa und Stefan werden temporeich und schonungslos geführt. Sie nehmen dabei kein „Blatt“ vor dem Mund. Das muss nicht nur der jeweils andere von ihnen aushalten können, sondern auch der/ die Leser*innen. Ihre unterschiedlichen Sichtweisen, beleuchten verschiedene Aspekte des jeweiligen Themas. Dies ermöglicht dem/der Leser*in, sich selbst eine Meinung zu der jeweiligen Sachlage zu bilden. Eine Meinung, mit der man in die nächste Diskussion mit seinen/ ihren Mitmenschen starten kann. Denn darum geht es ja, selbst eine Meinung angemessen vertreten, aber auch andere Meinungen anhören und aushalten zu können. Fazit: Eine gesellschaftskritische Auseinandersetzung mit brisanten, hochaktuellen Themen mit dem Appell zur freien Meinungsäußerung!

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Ein mitreissendes und hochaktuelles Werk welches ich nur empfehlen kann. Juli Zeh schafft es mal wieder die aktuellen Gegebenheiten auf eine sehr persönliche Weise zu schildern und zusammen mit Simon Urban eine Konstellation zu erzeugen in der die Spaltung der Gesellschaft, die Brüche und unterschiedlichen Sichtweisen zu aktuellen Diskussionen spannend und sehr realistisch präsentiert werden. Nach 20 Jahren treffen sich Theresa und Stefan zufällig in Hamburg. Während des Studiums haben sie zusammen in einer WG gelebt und gut kennengelernt. Als Theresas Vater starb, hat sie den elterlichen Bauernhof weitergeführt und war von da an in ein anderes Leben geworfen. Stefan ist erfolgreicher Journalist. Die Beiden knüpfen an die alten Zeiten an und es entsteht ein reger Austausch. Die sehr unterschiedlichen Standpunkte, Sichtweisen und Argumentationen , daß Aufeinanderprallen unterschiedlicher Lebens- und Erlebenswelten ist ergreifend und spannend erzählt und ich habe mich beim Lesen beiden Positionen sehr nahe gefühlt und mitgelitten. Ein fulminantes Werk und absolut lesenswert!

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Dieser Roman bringt schon einmal eine Besonderheit mit sich: Er besteht komplett aus Emails und Whats App Nachrichten zwischen den beiden Protagonisten. Dies bringt meist diverse potentielle Schwierigkeiten mit sich, das letzte Buch in dieser Erzählform das ich gelesen habe war damals 'Gut gegen Nordwind', das für mich einer der größten Flops meiner Lesegeschichte war. Dennoch war ich dem Rahmen gegenüber vorurteilsfrei, denn die Schwächen des genannten Romans waren andere. So ließ ich mich freudig darauf ein. Ich mag generell wenn Kapitel kurz und übersichtlich sind, so kann ich leichter wieder einsteigen und kurz unterbrechen (ich bin eine Abends im Bett- Leserin, und irgendwann fallen mir da die Augen zu). Schon auf den ersten Seiten merkte ich allerdings, dass zwischen diesem Buch der beiden Autoren Juli Zeh und Simon Urban und dem Roman von Daniel Glattauer Lichtjahre liegen und die beiden absolut null vergleichbar sind. Der Anspruch ist ein ganz anderer, alleine sprachlich ist 'Zwischen Welten' eine echte Wohltat. Mich würde natürlich interessieren ob die beiden Autor*innen sich die beiden Charaktere beim Schreiben auch so aufgeteilt haben- ob sie vielleicht tatsächlich während des Schreibprozesses einen jeweiligen Alter Ego angenommen haben und das Buch dann quasi diesen Austausch zusammenfasst? Nun, vielleicht werden wir das noch erfahren. Grundsätzlich geht es hier schon ganz schön zur Sache. Beide Hauptcharaktere- Theresa und Stefan- könnten nicht weiter voneinander entfernt sein, was ihr Leben angeht. Sie führt einen Milchhof in der brandenburgischen Provinz, er gehört zur Kulturelite Hamburgs. Beide haben Probleme, die der jeweils Andere nicht nachvollziehen kann und kollidieren in ihren Ansichten massiv. Und da nehmen sie auch kein Blatt vor den Mund, vor allem Theresa findet wirklich deutliche Worte, die mich manchmal die Luft einziehen ließen. So. Mein erster Eindruck war erstmal sehr positiv. Im Laufe des Romans gibt es dann jedoch durchaus ein paar Längen und Redundanz, so wiederholen sich beispielsweise Theresas Vorwürfe, Stefan sei in seiner Blase gefangen, immer wieder. Nur: Das stimmt auch. Im Austausch wird immer wieder klar, dass Stefan in Wirklichkeit nur einen Meter weit sieht und seine eigenen Probleme und täglichen Anforderungen ganz anders (wichtiger) gewichtet als die existentiellen Probleme Theresas. Letzten Endes hat sie das Gefühl, nicht wirklich gehört und verstanden zu werden, was schließlich zur Eskalation führt. Ich empfand den Austausch der Beiden als sehr gutes Abbild zu den gesellschaftlichen Problemen, die hier auch kritisiert werden sollen. Theresa (als Sinnbild der Landwirt*innen) wird nicht wirklich gehört und ernst genommen, bis es eskaliert. Und dann verkehrt sich das Bild in der Öffentlichkeit ins Gegenteil. Mich hat der Roman sehr berührt. Als jemand, der sich zwischen beiden Positionen einordnet brachte mich dieser Schlagabtausch schon wirklich zum Nachdenken, und das Ende tat verflucht weh. Inzwischen habe ich auch ein paar Kritiken gelesen und kann nur mit dem Kopf schütteln. Genau das, was im Roman angeprangert wird, geschieht darin. Es wird sich über Formalia aufgeregt, anstatt zum Kern des Problems vorzudringen und die Krise wirklich wahr zu nehmen. Für mich persönlich: Ja, auch ich bemerkte Redundanz und die ein oder andere Länge. Aber das Gesamtwerk ist für mich trotzdem so rund und wichtig, dass ich hier die volle Punktzahl vergebe. Ein Roman, der einer systemrelevanten Minderheit eine Stimme verleiht die so laut schreit und doch nie gehört wird, ist wichtiger als perfekte Stilistik.

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Es gibt nicht viele 500-Seiten-Bücher, die ich innerhalb von drei Tagen verschlinge. Aber ein neuer Roman von Juli Zeh sorgt in schöner Regelmäßigkeit dafür, dass ich komplett darin versinke. So auch in "Zwischen Welten", der heute erscheint und eine Art moderner Brief-Roman zwischen zwei Personen ist, die nicht gegensätzlicher sein könnten: Theresa und Stefan. Sie hat den Milchhof ihres Vaters in der brandenburgischen Provinz beerbt, er ist stellvertretender Chefredakteur einer großen deutschen Zeitung. Schon früher haben beide häufig in ihrer WG die viel beschworenen Küchentisch-Diskussionen geführt - und greifen diesen Faden nach vielen Jahren der Funkstille wieder auf. Die Themen, über die mal per Mail, mal per Whatsapp diskutiert wird, könnten aktueller nicht sein: es geht um Bio-Subventionen, Gendersternchen, Black Live Matters und den Ukrainekrieg genauso wie um alltägliche Banalitäten in der Familie oder im Berufsalltag. Das Spannende: je nach persönlichem Standpunkt fühlt man sich zunächst Stefan, dann Theresa näher, nur um beim nächsten Streitgespräch der beiden die Seite zu wechseln. Ich mochte diese wechselseitige Dynamik sehr gern, die auch unbedingt dazu anregt, die eigene Diskussions- und Streitkultur zu reflektieren. Außerdem habe ich selten so viel über die aktuellen Probleme, aber auch Chancen in der heutigen Landwirtschaft gelernt. Neben diesem Faktor hat mich außerdem die Frage: "ob Journalismus sich eine Haltung erlauben darf oder sogar muss, was [Stefan] angesichts der Klimakrise und des wachsenden Rechtspopulismus ziemlich alternativlos findet" am Meisten bewegt. Juli Zeh und Simon Urban ist hier ein sehr aktueller Wurf gelungen, der Spaß macht. Es fühlt sich an, als würden die beiden stellvertretend für einen selbst streiten, während man selbst sich bequem ins Sofa kuschelt und es ihnen überlässt, unangenehme Wahrheiten auszusprechen und einzuordnen. Ein Buch, das zum Weiterdenken und Recherchieren einlädt, das wütend macht und betroffen, das auf- und erklärt auf ganz menschlicher Otto-Normalverbraucher*innen-Ebene. Erstes Jahreshighlight 2023!

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