Sie haben sich erfolgreich zum "Mein Buchentdecker"-Bereich angemeldet, aber Ihre Anmeldung noch nicht bestätigt. Bitte beachten Sie, dass der E-Mail-Versand bis zu 10 Minuten in Anspruch nehmen kann. Trotzdem keine E-Mail von uns erhalten? Klicken Sie hier, um sich erneut eine E-Mail zusenden zu lassen.

Rezension zu
Ihr wollt es dunkler

KING IN A NUTSHELL

Von: Marc Otte
09.07.2024

Im Nachwort zu seinem neusten Band mit 12 Erzählungen berichtet Stephen King davon, wie seine Geschichten manchmal aus dem Nichts und nahezu vollständig ausgeformt in sein Bewusstsein drängen. Sich mit der Genese seiner Texte und denen anderer Autor*innen auseinanderzusetzen, ist für Stephen King nicht untypisch, hat er genau dies doch bereits in zwei nonfiktionalen Büchern („Danse Macabre“ und „On Writing“) sowie in zahlreichen Nach- und Vorworten immer und immer wieder getan. Neu ist, dass der 76jährige Vielschreiber oder zumindest einer der zahlreichen Übersetzer*innen dieses Bandes im Nachwort die Zeitform des Perfekts verwendet als auf diesen Entstehungsprozess und dessen Bedeutung im Leben des Autors geblickt wird und so der Eindruck entstehen kann, dass auch King sich der Tatsache bewusst ist, dass er irgendwann nicht mehr in der Lage sein wird, jährlich neue Romane und Stories auf den Markt zu werfen. Und so lesen sich auch die vorliegenden 730 Seiten einerseits wie eine Retrospektive und zugleich wie ein Konzentrat seines Oeuvres. Wie bei solchen Anthologien üblich, vereint auch „Ihr wollte es dunkler“ Texte von unterschiedlicher Qualität. So wirkt „Finn“, eine Verwechslungs- und Entführungsgeschichte, in der die Grenzen zwischen Realität und Fantasie für das Opfer verschwimmen, nachdem dieses gefoltert wurde; ebenso wie die Wiedergängerstory „Willi der Wirrkopf“ und „Das rote Display“ über die Unterwanderung der Menschheit durch eine andere Spezies eher wie Fingerübungen einer Creative Writing Kurses. Zu platt in ihren Enden und zu flach in der Figurengestaltung. Zu großer Form läuft King allerdings wieder auf, wenn er seinen Geschichten Raum gibt und so sind es vor allem die längeren Texte dieser Sammlung, in denen er erneut zeigen kann, welch guter Erzähler er ist. In der Auftaktgeschichte „Zwei begnadete Burschen“ eröffnet King eben jenen Fragehorizont, den er mit dem Verweis auf den eigenen kreativen Prozess im Nachwort schließt. Laird und Butch, zwei einfache Jungs, die in ihrer Heimatstadt einen Schrottplatz unterhalten werden Ende der 70er im Alter von fast 50 Jahren beide berühmt – der eine als Schriftsteller, der andere als Künstler. Lairds Sohn geht der Frage nach der Herkunft dieses plötzlichen und unwahrscheinlichen Erfolgs nach und stößt dabei auf Aufzeichnungen seines Vaters über ein Wochenende in einer abgeschiedenen Jagdhütte. „Zwei begnadete Burschen“ kann nicht nur als Metareflexion zu Kings eigener Karriere gelesen werden, sondern wirft auch zugleich ein enges Netz intertextueller und -medialer Verweise aus, von denen viele sich in kingtypischer Manier auf das eigene Erzähluniversum beziehen. So spielt diese akte-x-artige Geschichte im fiktiven Castle County, nahe der fiktiven Stadt Castle Rock Zudem wird mit Derry ein weiterer Ort erwähnt, der eine zentrale Rolle in den Welten des Autors einnimmt. Neben diesen Bezugnahmen zu Werken wie „ES“, „Needful Things“ und vielen weiteren, verweist dieser Opener sprachlich punktuell auf Kings Opus Magnum, den „Dunklen Turm“, bedient sich an Motiven aus der Kurzgeschichte „The Body“ (besser bekannt als Film „Stand by me“) sowie der Trilogie um „Gwendys Wunschkasten“, die King gemeinsam mit Richard Chizmar verfasst hat. In der mit 220 Seiten längsten Geschichte des Bandes „Danny Coughlins böser Traum“, erfährt der Hausmeister einer Highschool im Schlaf von dem Ort, an dem die Leiche einer jungen Frau zu finden ist. Als er das Wissen aus seinem Traum überprüft und den Fundort anonym der Polizei mitteilt, gerät er ins Visier eines alternden Detectives, der zunehmend besessen von Coughlin ist und dessen Leben zerstört. Der Kurzroman steht als Detektivgeschichte vor allem in der Tradition jüngerer Romane Kings, wie z.B. der Mr. Mercedes Trilogie und weiterer Romane über die Figur Holly Gibney. King nutzt dieses Genre hier, um von Problemen des Amerikas der Gegenwart zu erzählen, so geht hier primär um Polizeigewalt und -willkür und zugleich ähneln Dannys traumartige Visionen den Fähigkeiten des jungen Danny Torrance aus „Shining“, mit dem er auch den Vornamen teilt. Im meiner Meinung nach besten Text der Sammlung „Klapperschlangen“ begegnen King-Leser*innen einem alten Bekannten wieder. Vic Trenton hat seinen Sohn vor vielen Jahrzehnten an einen tollwütigen Bernhardiner namens Cujo verloren und flüchtet nun, 40 Jahre später, nach dem Krebstod seiner Frau ins Haus eines reichen Freundes auf das Rattlesnake Key. Im Sommer ist er dort aufgrund der hohen Temperaturen nahezu allein- Nur die ebenfalls in die Jahre gekommene Anita Bell wohnt in der direkten Nachbarschaft und schiebt täglich einen leeren Zwillingskinderwagen über die Insel, da sie den Verlust ihrer beiden vierjährigen Söhne ungefähr zur gleichen Zeit wie Vics Verlust offensichtlich immer noch nicht hat überwinden können. „Klapperschlangen“ erzählt eine klassische Geistergeschichte, der Kings Romanen „Sara“ und „Duma Key“ (zu dem er auch eine räumliche Nähe hat) ähnelt. Verlust, Traumata und Altern sind, wie auch in den anderen Geschichten, hier die bestimmenden Themen und vor deren Hintergrund die letzte Geschichte des Bandes, „Der Antwortmann“ besonders klug positioniert scheint, stellt diese doch die Frage danach, welche Fragen wir als junge Menschen über unser weiteres Leben stellen würden, welche Antworten wir ertragen könnten und wie sich beides im Fortgang des Lebens endet. „Ihr wollt es dunkler“ bietet einen Querschnitt durch das Schaffen Stephen Kings, bedient sich seines typischen Tons und verarbeitet bekannte Themen (vor allem der Texte nach 1999) und zeigt dadurch, dass trotz dieser Zitatdichte kaum Langeweile entsteht, welche guter Erzähler King „gewesen ist“ (auch wenn er das im Nachwort zu relativieren versucht).

Wir stellen nicht sicher, dass Rezensent*innen, welche unsere Produkte auf dieser Website bewerten, unsere Produkte auch tatsächlich gekauft/gelesen haben.