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Rezension zu
Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne

Stanišićs zeichnet Figuren des normalen Lebens - ganz ungekünstelt, aber künstlerisch 🧑‍🎨 🫶📚❣️

Von: Victory_of_books
09.06.2024

Saša Stanišić neuer Erzählungsband „Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne“ ist 2024 bei Luchterhand erschienen. Im Sommer 1994 treffen sich vier Freunde „Ausländerjungs in Deutschland“ in den Weinbergen, die sich selbst keine guten Zukunftsaussichten prognostizieren. Fatih heckt einen Plan aus: „Wie super wäre es, wenn es einen Proberaum für das Leben gäbe? Du gehst in den rein und probierst zehn Minuten aus der Zukunft? Wie bei Deichmann, nur nicht mit Schuhen, sondern mit dem Schicksal. Kostenpunkt: hundertdreißig Mark. Falls dir dann gefällt, was du siehst, kannst du es direkt einloggen und dich gleich darauf freuen, weil diese zehn Minuten werden hundertpro irgendwann kommen. Das Einloggen kostet hundertdreißigtausend Mark.“ Das wirft natürlich die Kostenfrage auf, aber eventuell ist ja schon der Traum eines besseren Lebens ausreichend. Fatihs Plan ist auf jeden Fall ausgeklügelt: „Ihr strengt euch an, damit diese Zukunft eine größere Chance hat, einzutreffen! Ihr fresst nur noch Brokkoli und Nüsse und trinkt nur noch Wein und Olivenöl wie die Griechen. Ihr werdet freundlicher zu allen, weil man weiß, weniger assi zu sein, verbessert die Lebensqualität. Schon seid ihr gesünder und glücklicher, ganz ohne den Proberaum!“ Saša Stanišić hat neun Geschichten verfasst, von den die erste „Neue Heimat“ ist. Sie sollten laut dem Autor der Reihe nach gelesen werden. Die Erzählungen hängen alle miteinander zusammen, was wir vor allem in ihren Figurenkonstellationen feststellen. Ihre zeitlichen Abläufen zwischen Bosnienkrieg und unmittelbarer Gegenwart, laufen wiederkehrend auf die Frage nach und der Auseinandersetzung mit der Herkunft hinaus. Ich würde Saša Stanišićs Ton in der deutschen Gegenwartsliteratur als einzigartig bezeichnen, als ungekünstelt aber künstlerisch. Seine Prosa führt zu neuen Denkanstößen. In der titelgebenden Erzählung besucht Gisel das Grab ihres vor vier Jahren verstorbenen Mannes. Sie hat sich natürlich daran gewöhnt, ohne ihn zu leben, aber manchmal überflutet sie die Sehnsucht, dann wünscht sie ihn sich her, wünscht sich, mit ihm streiten zu können, und dass er sich für irgendwas entschuldigt. Kann man schöner von der Liebe erzählen? „Einem geliebten Menschen böse zu sein, sollte niemandem schwerfallen. Beide schweigen dann eine Weile, oder einer geht Holz hacken, der andere Zugvögel gucken, oder was man halt gerne macht, und schon hat man Kraft, um einander wieder wohlgesonnen zu sein. Und sich auch wieder zu streiten, wenn es sein muss, ja.“ Gleichzeitig finden wir in diesen Erzählungen auch viele autobiografische Anspielungen Stanišićs. Wir erfahren wie ein Hochsitz zu seinem Lese- und Geschichtenerfindungsort wurde; wie er von Heinrich Heine inspiriert nach Helgoland reist, und sich dort in einem Spiel mit der Wahrheit und einer erfundenen Geschichte selbst als Autor begegnet. Stanišićs zeichnet Figuren des normalen Lebens. Sie sind keine Abenteurer, keine Helden, keine Stars, sie leben ihr Leben unglamourös. Sie leben in ganz unprätentiösen Orten wie Winsen an der Luhe, Bremen, Heidelberg oder der Lüneburger Heide. Der Autor mag die Menschen, über die er schreibt. Für mich ist es die Mischung aus Einfühlsamkeit und Humor, die diese Erzählungen zu einem Lektüregenuss machen.

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