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Rezension zu
Das Tal der Blumen

Der allgegenwärtige Tod

Von: Roomwithabook
06.05.2024

Die Suizidrate in Grönland ist die höchste der Welt, so viel vorweg. Doch was macht das mit den Menschen, die mit dem allgegenwärtigen Tod von Freund:innen und Personen aus der näheren und entfernteren Umgebung aufwachsen? Niviaq Korneliussen, selbst in Nuuk geboren und in Nanortalik, einem kleinen Ort auf einer südgrönländischen Insel, aufgewachsen, geht dieser Frage in ihrem neuen Roman nach. Sie weiß, wovon sie spricht, wenn sie ihre Protagonistin an der ewigen Dunkelheit des Winters und der nie untergehenden Sonne des Sommers verzweifeln lässt, außerdem am Leben in einer relativ kleinen Stadt wie Nuuk, wo nicht viel los ist und die soziale Kontrolle groß. Der Roman beginnt mit dem Aufbruch der namenlosen Protagonistin nach Dänemark, sie wird ein Studium in Aarhus aufnehmen und freut sich auf ihre neuen Freiheiten als Studentin. Einziger Wermutstropfen ist die Tatsache, dass sie ihre Freundin Maliina in Grönland zurücklässt, vor allem, da die Beziehung der beiden erst vor Kurzem begonnen hat und die Frage nach einer gemeinsamen Zukunft bisher noch nicht gestellt wurde. Doch in Aarhus angekommen, stellt sie schnell fest, dass sie von ihren Kommiliton*innen als Fremdkörper wahrgenommen wird, sie passt nicht hinein in die Gruppe dänischer Mittelschichtskinder, die sich zwar für aufgeklärt halten, jedoch die eigenen rassistischen Vorurteile nicht erkennen und sie deutlich spüren lassen, was sie von ihr und Grönländer*innen überhaupt halten. Auch das Studium an sich stellt sie vor unüberwindbar scheinende Hindernisse, sie verzweifelt zunehmend und versinkt mehr und mehr in ihrer Einsamkeit. Dann erfährt sie, dass sich eine Cousine von Maliina das Leben genommen hat. Sie reist nach Ostgrönland, um ihrer Freundin zur Seite zu stehen. Dort entdeckt sie auch das titelgebende Tal der Blumen, ein mit Plastikblumen geschmückter Friedhof. Die Konfrontation mit einem weiteren Suizid setzt etwas in ihr in Gang, das unumkehrbar zu sein scheint. Niviaq Korneliussen hat eine Struktur für ihren Roman gewählt, die die Unaufhaltsamkeit der Ereignisse immer deutlicher zutage treten lässt. In den Text eingestreut stehen Todesmeldungen, die rückwärts gezählt werden. Im ersten Teil, der mit „Sie“ betitelt ist, sind diese Meldungen distanziert („Frau, 25 Jahre. Erhängte sich in der Wohnung des Freundes.“). Der zweite Teil, „Wir“, kommt näher an die Protagonistin heran, es geht um ihre Beziehung zu Maliina und weiteren Familienmitgliedern, die Todesmeldungen hier sind ebenfalls persönlicher(„Du warst eine tickende Zeitbombe. Alle schienen nur darauf zu warten, dass es dir gelingen würde, du konntest nicht gerettet werden, du konntest dich nicht selbst retten, weil keiner daran geglaubt hat, dass es dir gelingen würde.“). Im dritten Teil, mit „Ich“ betitelt, wird der drohende psychische Zusammenbruch der Protagonistin immer deutlicher, sie kapselt sich ab und lässt niemanden mehr an sich heran („Früher fand ich Ruhe bei euch, ihr habt mich aus meiner Einsamkeit gezogen, jetzt bin ich am einsamsten, wenn ich in eurer Gesellschaft bin.“). Korneliussen verdeutlicht anhand der Ich-Erzählerin, wie sehr sich die gesellschaftlichen Strukturen eines ehemals kolonialisierten Landes auf die Einzelnen auswirken und wie stark kolonial geprägte Bilder in der Gesellschaft der ehemaligen Kolonialmacht nachwirken und das Scheitern der Grönländer*innen quasi vorwegnehmen. Der Text ist gleichzeitig rau und zart, man muss sich auf seine Sprache einlassen, um die Wut und die Wucht des Erzählten zu spüren. Mich hat das Buch jedenfalls sehr beeindruckt!

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