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Rezensionen zu
Dichter in der Welt

Ulla Hahn

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. Ich werde älter. Und das Lesen passt sich nicht mehr so mühelos in meinen Alltag wie einst. Die Augen wollen abends nicht so recht, die Zeit rast schneller denn je, und ja, mir werden Bücher weniger wichtig. Deshalb tue ich mich schwerer mit der Auswahl und lege Angelesenes bald weg, wenn es keine Begeisterung oder zumindest Neugierde hervorruft. Wahrscheinlich bin ich im Lebensalter der Klassiker angelangt. Ich ertappe mich zumindest dabei, dass Lieblingsbücher meist über 100 Jahre alt sind. Aber nein. Ganz ohne Gegenwehr überlasse ich mich nicht dem „Gang der Dinge“. Der Essayband „Dichter in der Welt“ von Ulla Hahn sollte mich wachrütteln. Und siehe da: Die erste Brücke, die mir ihr Buch baut, ist die Reflexion über Gedichte und das Schreiben eigener Gedichte. Gedichte habe ich erst vor ein paar Jahren für mich entdeckt, lesend und schreibend. Und es gefällt mir, was die hauptsächlich Lyrik schreibende Ulla Hahn zu berichten hat. Wie zum Beispiel das Schreiben erst mal nur darin besteht, gegen alle möglichen (und unmöglichen) Einwände aufs Papier zu kommen. Wie erleichternd es für sie nach dem Studium war, keine Fußnoten mehr anbringen zu müssen. Einfach schreiben zu können, was sie selbst bewegt. Ohne auf Erwartungen Rücksicht nehmen zu müssen. Wie wichtig gerade hier die Verzahnung von Lesen und Schreiben wurde, denn Sprache entfaltet sich an Möglichkeiten. Wozu Beispiele vielleicht nicht nötig sind, aber von großer Hilfe. Hier lese ich auch einen Satz, den ich in letzter Zeit häufiger gehört und gelesen habe, und der jungen Menschen, die bei der Berufswahl zögern, laut zugerufen werden kann: „Schreiben wurde zur zweiten Natur“, was in andere Leidenschaften übersetzt, „Philosophieren, rechnen, malen, Geld verdienen, xxx wurde zur zweiten Natur“ heißt. Dass sich soziales Engagement und Ästhetik nicht ausschließen, kann man hier auch nachlesen. Denn Sprache selbst ist sozial. Wer noch nie von Sätzen gerettet wurde, mag daran zweifeln. Ein solider Job ist am Ende auch absolut nichts Verwerfliches. Ulla Hahn, das zeigen die im Buch versammelten Texte, ist eine versierte Leserin. Sie hat ihre Launen und ihre Vorlieben. Aber die legt sie stets offen, damit wir folgen können oder auch nicht. Aus ihrer Abneigung gegen Simone de Beauvoir macht sie keinen Hehl. So fällt es mir wiederum leicht, Hahns harsche Kritik mit eigener Sympathie zu mischen, und mir ein eigenes Bild zu machen. Denn natürlich bleiben Simone und Jean-Paul das große Vorbild in Sachen offener Beziehung. Insofern teile ich nicht Ulla Hahns Verdikt, die Veröffentlichung des Briefwechsels der beiden habe „den Mythos vom >Freiheitspakt<“ zerstört. Für mich ist es eher das Scheitern eines Versuchs, nicht das Ende einer Utopie. Schön ist die getroffene Auswahl der Essays, Ulla Hahn schöpft stets aus dem Vollen, hier spürt man, dass sie gerne liest ist und Kritik ernst meint. Besonders gefreut habe ich mich über Texte zu Else Lasker-Schüler, Nelly Sachs, Emily Dickinson, zu Goethe, Karl Krolow und – eine große Überraschung – zu der Graphik „Antigone“ von Rosemarie Trockel. Hier lese ich den Begriff „gezüchtigte Menschlichkeit“. Ulla Hahn benutzt ihn, um Antigones Haltung zu beschreiben, ihren Eigensinn, ihre Stärke, ihre Kompromisslosigkeit. Besonders schön ist, wie Ulla Hahn uns beschreibt, wie sie Trockels Graphik in Gedanken zum Leben erweckt und die Situation weiterspinnt. Natürlich im Sinn einer Sprachgläubigen: „Mein Kreon nimmt Antigone den Knebel aus dem Mund. Die schüttelt ihr Haar und wendet ihm das Gesicht zu. Ernst. Und dann reden sie miteinander. Hören einander zu. Suchen gemeinsam nach dem verborgenen Wort, das beide gleichermaßen erlöst. aus dem Käfig ihrer festgezurrten Meinungen. Ein Wort, jenseits von Wahrheit und Lüge, einen Satz, dem man glauben könnte. Bis zur nächsten Antigone.“ Ulla Hahn, Dichter in der Welt – Mein Schreiben und Lesen. DVA 2006. Mit herzlichen Dank an Randomhouse für die Bereitstellung des Rezensions-Exemplars.

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