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Rezension zu
Into the Water - Traue keinem. Auch nicht dir selbst.

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Girl on the water ?

Von: WolfgangB
07.06.2017

Mit "Girl on the Train" ist der britischen Autorin Paula Hawkins ein sentationeller Debüterfolg mit zahlreichen Übersetzungen und einer Verfilmung gelungen, wie ihn sich im Literaturbetrieb wohl nicht wenige erträumen. Geschickt hat sie dabei das verbreitete Faible für unzuverlässige Erzählerinnen mit dem diffusen Gefühl urban bedingter gegenseitiger Entfremdung kombiniert. Wie aber komponiert man nach einem solchen Einstieg in die schrifstellerische Karriere seinen zweiten Roman, ohne als Eintagsfliege rasch wieder vergessen zu werden? Paula Hawkins nimmt dabei am Setting von "Girl on a Train" mehrere Veränderungen vor. Zunächst ist "Into The Water" nicht mehr in der Gartenzaun-Vorortidylle einer Metropole, sondern in einem kleinen Dorf angesiedelt, in dem aufmerksame Zeitgenossen oft besser über den Tagesablauf ihrer Mitmenschen bescheid wissen, als den Beobachteten lieb ist. Angesichts des Orts ist die Erzählung nicht mehr nur auf wenige zentrale Persönlichkeiten fokussiert, sondern wartet mit einer Vielzahl von verschiedenen Figuren auf. Mit diesem Strukturmerkmal wird der Leser auch als erstes konfrontiert: Ausgehend von einem bestimmenden Ereignis, dem vermeintlichen Selbstmord einer jungen Frau, wird die weitere Entwicklung in kurzen Kapiteln jeweils in personaler Perspektive aus der Sicht eines einzelnen Charakters erzählt. Folglich dient der erste Abschnitt des Romans vorerst dazu, die betreffenden Figuren einzuführen, sie bei ihren angestammten, alltäglichen Aktivitäten darzustellen, die eigentliche Handlung bestenfalls andeutungsweise, in kleinen Schritten voranzutreiben. Gerade dieser Einstieg gestaltet sich für den Leser als sperrig, da er die vielen, innerhalb kurzer Erzählzeit eingeführten Namen im Gedächtnis behalten muß und noch nicht erahnen kann, wem eine Haupt- und wem eine Nebenrolle zufällt. Auch die Erzählperspektive trägt nicht dazu bei, den Einstieg in den Roman zu erleichtern. Die Passagen der meisten Figuren werden in der ersten Person erzählt, sodaß dem Leser unmittelbaren Einblick in ihre Gefühle und Gedanken gewährt wird. Für andere hingegen wir die dritte Person verwendet, was naturgemäß Distanz schafft. Offensichtlich sollte durch eben diese Wahl der Perspektive die Figuren in zwei Gruppen geteilt werden, tatsächlich wird dadurch mehr Verwirrung gestiftet als beseitigt. Einzig Julia Abbot tritt immer wieder in der zweiten Person in einen Dialog mit ihrer verstorbenen Schwester Nel, was ihr die Rolle einer neutralen Instanz, eines Bezugspunktes für den Leser verleiht. Ein weiterer Unterschied zu "Girl on the Train" besteht darin, daß diesmal bewußt keine unzuverlässige Erzählinstanz genutzt wird. Die Autorin verzichtet damit mutig genau auf jenes Stilmittel, das wesentlich zur Popularität des Erstlings beitrug und derzeit im Thrillergenre bevorzugt eingesetzt wird. Daß der Leser dennoch im Ungewissen über die tatsächlichen Vorgänge belassen wird, liegt an der Unvollständigkeit der individuellen Sichtweisen, jeder Erzähler kann immer nur einen Teil des Gesamtbildes liefern. Während Paula Hawkins also die Chronologie der Ereignisse, die zum Tod von Nel Abbott führten, langsam aufrollt, portraitiert sie mit scharfem Blick und spitzer Feder die Lebensbedingungen in einem kleinen Dorf, wo eine überschaubare Anzahl von Menschen auf begrenztem Raum einander tagtäglich begegnen. Dem distanzierten Desinteresse am anderen, mit dem in der Stadt unsichtbare Mauern errichtet werden, stellt sie die kaum verhohlene Neugier kleinerer Ortschaften gegenüber. "Into the Water" ist ein Beispiel dafür, daß ein mit hohen Erwartungen beladener Roman, eingesprochen von hochkarätigen Sprechern, nicht notwendigerweise zu einem außergewöhnlichen Hörbuch führt. Besonders in der vorgelesenen Version ist es eine Herausforderung, zu Beginn den Überblick über die zahlreichen Figuren und deren Beziehungen zueinander zu bewahren. Daher empfiehlt es sich, für die ersten beiden Stunden Papier und Bleistift bereitzuhalten ... was zwar dem Verständnis der Geschichte, nicht jedoch dem entspannten Genuß eines Romans zuträglich ist. Die Aufteilung der Sprecherrollen erfolgt nach dem einfachsten denkbaren Schema: Britta Steffenhagen leiht den weiblichen Figuren ihre Stimme, Simon Jäger den männlichen. Diese Gruppierung zieht zusätzlich eine künstliche Linie und wirft Fragen auf, die der Roman nicht beantworten kann. Fragmente einer Chronik über die ertrunkenen Frauen von Beckford, für die Nel Abbott recherchiert hat, werden außerdem durch eine dritte Sprecherin, Marie Bierstedt, hervorgehoben. Im Interesse der Konsistenz des Hörbuchs wäre es wahrscheinlich günstiger gewesen, lediglich diese Unterscheidung zwischen Chronik und Handlung zu akzentuieren. Des weiteren ist Britta Steffenhagen mit ihrer kratzigen, sich in den Höhen überschlagenden Stimme nicht für alle Figuren gleichermaßen geeignet. Jugendliche oder aufmüpfige Charaktere wie Lena Abbott oder die verschrobene Nici Sage treten durch Steffenhagen wahrlich aus dem Roman hervor, erwachsenere, nüchterne wie Erin Morgan wirken dagegen in ihrem Wesen verfälscht. Fazit Ohne "Girl on the Train" wäre "Into the Water" eine Studie über dörfliche Borniertheit anhand eines mysteriösen Todesfalls. So aber ist es der gefürchtete zweite Roman, dem die Erwartungshaltung der Leserschaft zu hoch hängt.

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