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Rezension zu
So unergründlich wie das Meer

„Die Mafia ist mächtig, aber Gott ist allmächtig.“

Von: letteratura
11.11.2016

Die Mafia hat den Stadtteil Brancaccio in Palermo fest im Griff. Die Menschen sind arm, haben keine Perspektive, die Kinder gehen nicht regelmäßig zur Schule, lernen das Gesetz der Straße kennen und rutschen früh ab in die Kriminalität. Wer sich gegen die mafiösen Strukturen zu wehren versucht, wird eingeschüchtert, bedroht, zusammengeschlagen und – wenn all dies denjenigen nicht bricht und zum Aufgeben zwingt, auch getötet. Don Pino Puglisi ist katholischer Priester, unterrichtet Religion und hat sein Leben vornehmlich den Kindern und ihrer möglichst besseren Zukunft gewidmet, möchte Alternativen schaffen, damit sie sich nicht Gewalt und Drogen zuwenden, damit sie später einen Beruf erlernen. Diesen Don Pino hat es wirklich gegeben. An seinem 56. Geburtstag wurde er von der Mafia vor seinem Haus erschossen. Im Jahr 2005 wurde der Film „Alla luce del sole“ (Am helllichten Tag) von Roberto Faenza über das Leben Don Pinos uraufgeführt, der gute Kritiken bekam. Alessandro D’Avenia hat in seinem dritten Roman „So unergründlich wie das Meer“ diesem Don Pino ein weiteres Denkmal gesetzt und er tut das als jemand, der ihn kannte, denn D’Avenia stammt selbst aus Palermo und war Schüler Don Pinos. Der Pater hat ihn sehr geprägt. Mit diesem Wissen im Hinterkopf kann man beim Lesen nicht umhin, den jungen Federico, neben Don Pino die zweite tragende Figur im Roman, als Alter Ego von D’Avenia zu betrachten, auch wenn die Geschichte als Roman erzählt wird und also unklar ist, wie viel Fiktion ist und was davon sich vielleicht wirklich so zugetragen hat. Federico ist 17, kommt aus dem „besseren“, dem behüteteren Teil von Palermo, seine Eltern haben Geld. Er liebt Bücher, Literatur, Wörter und Gedichte, ja, er ist eher ein Mann des Wortes als der Taten. Oder er war es. In den Ferien, die bevorstehen, soll Federico einen Sprachkurs in England absolvieren, auf den er schon hinfiebert. Don Pino aber nimmt ihn eines Tages mit nach Brancaccio, wo Federico sieht, wie andere ganz in seiner Nähe von seinen Möglichkeiten ausgeschlossen sind. Und er trifft auf Lucia, ein junges Mädchen, das Träume hat wie er, das aber weit mehr Tragisches, mehr Gewalt gesehen hat, und in ihm zunächst einen verwöhnten Jungen sieht, der von der Welt und ihren schlechten, harten Seiten keine Ahnung hat. Diese Begegnung mit Lucia, aber auch die Führung Don Pinos sind es, die Federico seine Entscheidung, den Sommer in England zu verbringen, überdenken lassen. Er beschließt, in Palermo zu bleiben und Don Pino zu helfen, ganz praktisch, mit anzupacken. „Manche meinen, die Gewalt der Mafia bestehe in Schutzgelderpressung, Mord und Bomben. Doch Don Pino weiß, dass die eigentliche Gewalt im Fehlen einer Mittelschule in einem fast zehntausend Seelen großen Viertel besteht.“ Kapitel 5, 1. Teil „So unergründlich wie das Meer“ – der Titel bewegt sich nah am Kitsch und genauso ist es auch mit der Sprache. Manchen Lesern ist D’Avenias Sprache womöglich zu bildreich, zu poetisch, zu bedeutungsschwer, vielleicht ganz einfach zu überladen. Ich aber mochte die lyrischen Wendungen, die kurzen Weisheiten, wenn es auch Altbekanntes ist, das uns vermittelt wird. Der Erzähler hält sich denn auch nicht allzu lang an diesen Stellen auf, kehrt zu seiner Geschichte zurück, erzählt in teilweise kurzen, prägnanten Kapiteln weiter, so dass er und damit auch wir uns nicht in einer übertriebenen Bedeutungsschwere verlieren. Es tummeln sich noch einige Protagonisten mehr, denen man in diesem Roman ein Stück ihres Weges folgt, und D’Avenia erzählt aus verschiedenen Perspektiven, in teils kurzen Kapiteln und sehr lebendig, so dass die Geschichte nur so an einem vorbeifliegt. „Von oben sieht Palermo so schön aus, so strahlend. Doch in ihrem Leib trägt diese Stadt Schatten und Trauer.“ Kapitel 20, 1. Teil „So unergründlich wie das Meer“ ist die Geschichte von einem, der für andere einsteht, der sein Leben in den Dienst anderer gestellt hat, der sich nicht einschüchtern lässt. Und es ist die Geschichte eines anderen, der in einer Phase, in der sich viele Weichen für das weitere Leben stellen, einer Phase, in der sich alles etwas echter und intensiver anfühlt, als es später der Fall sein wird, lernt, dass es mehr gibt als das, was er zuvor kannte. Und natürlich ist es auch eine Liebesgeschichte, wenn diese auch nicht nur im Zentrum steht. Der echte Don Pino wurde inzwischen selig gesprochen. Und Palermo in den 1990er Jahren ist ein Ort, an dem der Glaube eine große Rolle spielt – oder vielleicht zumindest eine größere, als wir das im Hier und Heute kennen. Dies schlägt sich auch im Roman nieder, religiöse, christliche Vorstellungen schwingen stets mit. „So unergründlich wie das Meer“ ist ein Buch der Trauer und der Gewalt, der Verzweiflung, aber nicht nur: Trotz allem ist es eine Geschichte voller Hoffnung und ein Appell, nicht aufzugeben.

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