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Rezension zu
Die Königin und der Kalligraph

Es war einmal

Von: LiteraturReich
03.07.2024

Es war einmal eine Stadt, in der Muslime, Juden und Christen friedlich zusammenlebten. Nicht konfliktfrei, jeder in seinem eigenen Dunstkreis, aber doch mit einem gewissen Respekt und vor allem Toleranz vor dem anderen. Es war einmal das Damaskus der Kindheit von Moussa Abadi, 1910 dort geborener Autor des autobiografischen Werks Die Königin und der Kalligraph, und auch ein Stück weit das des 1946 geborenen Schriftstellers Rafik Schami, der zu eben jenem Werk, das gerade in der Übersetzung von Gerhard Meier bei Manesse erschienen ist, ein ausführliches Nachwort beigesteuert hat. Im Jahr 1900 lebten ca. 11.000 Juden in Damaskus. Viele wanderten 1948 oder nach dem Sechstagekrieg 1967 aus. 1992 zählte man noch 4000 Juden in der Judengasse, 2019 waren es laut Rafik Schami nur noch 12. Heute erscheint ein friedliches Zusammenleben der verschiedenen Religionen utopischer als je. Aber es war einmal… Moussa Abadi verließ, auch hier eine Parallele zu Rafik Schami, bereits als junger Mann seine Heimat. 1929 erhielt er ein Stipendium für die Sorbonne in Paris. In Frankreich (üb)erlebte er auch den Zweiten Weltkrieg. 1939 lernte er die Ärztin Odette Rosenstock kennen, mit der er sich ab 1942 dem Widerstand anschloss und jüdischen Familien half, ihre Kinder zu verstecken. 527 Kinder entkamen so der Deportation. Abadi arbeitete nach dem Krieg als Theaterkritiker und Radiojournalist. In bereits hohem Alter schrieb er seine Erinnerungen an die Damaszener Judengasse seiner Kindheit auf. Das Buch erschien zuerst 1994. „Wozu noch in der Glut der Erinnerung stochern, wo doch mein Damaskus nicht mehr in Damaskus ist und mein Ghetto auf immer verschwunden?" In locker verwebten Geschichten schreibt Moussa Abadi in Die Königin und der Kalligraph über die Menschen, die in den 1920er Jahren sein Viertel bewohnten. Das öffentliche Leben fand auf den Gassen statt. Armut, religiöses Leben. Bettler, Kaufleute und Beamte bevölkern es, fleißige Handwerker und Tagediebe, Schlitzohren und Familienväter, Mütter und tratschende Nachbarinnen. Tragödien und Komödien, manchmal dicht beieinander. Wie etwa in der Geschichte der heimkehrenden Salha Stétiés, jüngstes von siebzehn Kindern, die als junges Mädchen verschwand, um Jahre später als Königin eines imaginären Reichs zurückzukehren. Oder die vom Kalligraphen, dem es nicht mehr vergönnt war, einen großen Auftrag anzunehmen. Oder von Ali und seinen drei depressiven Küken. Eine besonders berührende Geschichte ist die der tiefen Freundschaft zwischen Abadis Urgroßvater und einem Beduinen, der einst dem fast verdursteten Reiter in der Wüste Wasser reichte und von ihm so reich belohnt wurde, dass es wiederum die von einer Heuschreckenplage gebeutelte Beduinenfamilie rettete. Die Freundschaft überstand die Generationen und noch in Moussas Kindheit brachten die Beduinensöhne jedes Jahr eine Gabe in die Judengasse. Wie meist bei solchen Rückblicken wird wohl so manches durch den nostalgischen Schleier und das vorgerückte Alter des Erinnernden ein wenig verklärt sein. Aber dennoch wird deutlich, dass ein Miteinander damals möglich war. Dadurch gibt das Buch auch gerade in der heutigen Situation Hoffnung und erscheint ein wenig wie eine Utopie. Auch wenn ich diese Buchbesprechung mit „Es war einmal“ begonnen habe und die Gasse von Abadis Kindheit im vermeintlichen „Morgenland“ liegt, erzählt der Autor nicht ausufernd und „orientalisch“, sondern klar, knapp, aber dennoch poetisch. Die Originalausgabe erschien auf Französisch. Rafik Schami entdeckte die arabische Übersetzung und empfahl sie dem Manesse Verlag, dem wir nun die deutsche Übertragung dieses unterhaltsamen, bereichernden und oft augenzwinkernd humorvollen Erinnerungsbuchs verdanken.

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