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Rezension zu
Im Krieg

Kriegstagebücher

Von: LiteraturReich
31.05.2024

Seit dem 24. Februar kursiert der Begriff „Zeitenwende“. Und ja, nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist vieles nicht mehr so, wie es war. Ein Angriffskrieg in Europa schien trotz sich mehrender Anzeichen, trotz der immer autoritäreren Züge des russischen Regimes unter Putin, trotz erstarkendem Nationalismus vor allem in Osteuropa einfach nicht denkbar. Gab es nach den Grauen des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs doch ein entschiedenes Nie wieder! Nie wieder Judenhass, nie wieder Faschismus und nie wieder Krieg! Die Europäische Union, die Vereinten Nationen und der Weltsicherheitsrat – die Welt schien ihre Lehren aus dem Tod von geschätzt 60 Millionen Menschen gezogen zu haben. Sie wuchs zusammen. So dachte man zumindest im Westen oder wollte daran glauben, ungeachtet der unzähligen Konflikte weltweit. Was ist davon geblieben? Seit wann kann ein deutscher Verteidigungsminister relativ unkritisiert davon sprechen, das Land „kriegstüchtig“ machen zu wollen, wo wir doch jahrzehntelang von „Verteidigungsbereitschaft“ sprachen? Zeitenwende. Was der Krieg in der Ukraine mit den Menschen dort macht, welche Ängste, Sorgen und ganz alltägliche Veränderungen sie umtreiben, davon gibt es schon jede Menge Zeitzeugenberichte, Reportagen und Dokumentationen. Die 1977 in Karlsruhe geborene, aber schon mehr als zwanzig Jahre in New York lebende Illustratorin Nora Krug, die mit ihrer 2018 erschienenen Graphic Novel „Heimat“ einen weltweiten Erfolg hatte, geht einen etwas anderen Weg. Zwei Lebenswirklichkeiten Direkt nach Kriegsbeginn suchte sie Kontakt zu ihr bekannten Menschen sowohl in der Ukraine als auch in Russland. Sie fand eine ukrainische Journalistin aus Kiew und einen russischen Künstler aus Sankt Petersburg, die bereit waren, sich mit ihr auszutauschen und gemeinsam an einem Projekt zu arbeiten. Gar nicht so einfach, denn verständlicherweise wollten viele Ukrainer:innen keinen Kontakt zu Russen. Krug bat die Beiden, ihr wöchentlich kurz zu berichten, wie es ihnen ging, was sie erlebt haben, was sie dachten und fühlten. In der darauffolgenden Woche erschienen diese Tagebuchaufzeichnungen als Serie in der Los Angeles Times. Und sind nun, ein Jahr später, übersetzt als Buch bei Penguin erschienen. Nora Krug - Im Krieg Auf sich jeweils gegenüberliegenden Seiten, die farblich anders coloriert sind, stehen nun die Aufzeichnungen der Ukrainerin K. und des Russen D. K. pendelt von Kopenhagen, wo sie die beiden Kinder und ihre Mutter in Sicherheit gebracht hat, zurück zu ihrem in der Ukraine gebliebenen Mann, in die Kiewer Wohnung und an die Frontlinien, um von dort zu berichten. Ihre Erfahrungen sind unmittelbar, immer wieder von Angst um ihr nahestehende Personen durchsetzt. Die Trennung der Familie macht ihr genauso zu schaffen wie die Eindrücke vom unmittelbaren Kriegsgebiet. K. und D. D. ist zwar Kriegsgegner, hat zu Beginn des Krieges auch eine Petition dagegen unterschrieben, ihm fehlen aber die Möglichkeiten und auch die Zivilcourage, wirklich etwas zu unternehmen. Er steckt in einem inneren Kampf, leidet mit der Ukraine, flieht immer wieder über die Grenze, auch um einer Rekrutierung zu entgehen, lebt längere Zeit in Paris. Da seine Familie wegen fehlender Visa nicht ausreisen kann, kommt er aber immer wieder zurück. Und schließlich ist in Russland von Krieg noch viel zu wenig zu spüren. Es sind zwei Lebenswirklichkeiten, die hier aufeinanderprallen. Während K. und ihr Mann tagtäglich direkt betroffen sind, Bombardements ertragen müssen, die Angst zu spüren bekommen, läuft das Leben in Russland nahezu unverändert weiter. Lediglich die Kinder murren, weil keine neuen Nintendo Spiele zu bekommen sind oder McDonalds geschlossen hat. Diese Parallelität von ukrainischer und russischer Wirklichkeit wurde an Im Krieg, wie Nora Krug im Interview berichtet, bereits kritisiert. So würde das ukrainische Leiden nivelliert. Krug hingegen findet es wichtig, diese beiden Seiten zu zeigen und auch ich denke, so werden diese beiden Paralleluniversen noch deutlicher gemacht. Außerdem wird spürbar, dass neben all dem Trennenden bei K. und D. so viel mehr Gemeinsamkeiten bestehen, und sei es nur das Leben als Familie mit kleinen Kindern. Tolle Gestaltung Nora Krug - Im Krieg Die Textblöcke sind in einer Art Handlettering gesetzt, auf Linienpapier, was sie sehr authentisch macht. Die zurückhaltenden, flächigen Illustrationen untersteichen sie noch. Der Textanteil wird mit fortschreitendem Kriegsverlauf größer, die Illustrationen treten noch mehr zurück. Sehr oft, auf fast jedem Bild, sind Hände zu sehen. Hände als Ausdruck von Gefühlen. 52×2 Einsichten in ein Jahr Krieg. K.s letzter Eintrag endet so: „Zu Beginn des Einmarschs war so viel Hass in meinem Herzen. Ich verabscheute jeden, der in Russland lebt, und obwohl ich wusste, dass nicht alle Menschen dort schlimme Dinge tun, war ich voller Hass, weil die Russen nichts gegen dieses Grauen unternehmen. (…) Wir werden es unseren Kindern überlassen müssen, diese Animositäten zu überwinden. Und ich bin mir sicher, dass ihnen dies in der Zukunft irgendwie gelingen wird.“ schließt so: „Der Krieg hat mir auch gezeigt, dass man seine Regierung in keiner Weise beeinflussen kann. Das ist furchtbar, aber es ist eine Tatsache.“ Wie unterschiedlich, diese beiden Nachrichten. Die eine voller Trauer, aber auch voller Zuversicht. Die andere voller Resignation und Fatalismus. Nora Krug stellt sie in Im Krieg nebeneinander. Ihre empathischen Illustrationen folgen beiden. Aber dennoch ist klar: Das Buch zeigt auch, dass es eine Wahl gibt, dass man Entscheidungen treffen kann. Es soll seine Leser:innen zudem zum Nachdenken anregen: Was würde ich in der Lage tun? Tue ich genug? Was kann man tun? Gegen Krieg, gegen Faschismus, gegen Judenhass. Das sind, ganz abgesehen von jeder Kriegswirklichkeit die wichtigen Fragen, die auch uns aktuell betreffen. Nora Krug hat ihre Einnahmen aus der Zeitungsserie an ukrainische Hilfsorganisationen gespendet.

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