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Rezension zu
Muna oder Die Hälfte des Lebens

Fass mich (nicht) an!

Von: Bjoernandbooks
19.01.2024

Als Munas Vater stirbt, gerät die Welt für die Jugendliche aus den Fugen. Die alkoholkranke Schauspielerin-Mutter wandelt stets auf der Schwelle, sich etwas anzutun, und Muna findet sich frühzeitig auf sich allein gestellt wieder. Als sie auf Magnus trifft – deutlich älter als die kurz vor dem Abitur stehende Muna -, hat sie das Gefühl, ankommen zu können, so groß ist die Anziehung, die sie zu ihm spürt. Doch Magnus verschwindet nach einer Nacht, zunächst spurlos. Erst viele Jahre und auch den einen oder anderen Mann später treffen die beiden schicksalshaft und unverhofft wieder aufeinander. Sie nehmen die Verbindung zueinander auf, gehen eine Art Beziehung ein, versuchen es als Paar. Doch dieses Paarsein mag nicht so recht gelingen: Muna klammert und entwickelt eine Panik davor, verlassen zu werden, während sich Magnus als chronisch toxischer, zu Gewalt neigender, lieber Einzelgänger bleiben wollender Unsympath herausstellt. Doch so schnell mag Muna nicht aufgeben und kämpft wie eine Löwin um das Aufrechterhalten ihrer Beziehung, ein Kampf, dessen Scheitern vorprogrammiert zu sein scheint. „Und wenn er mich anfasst, wird es mit jedem Mal schmerzhafter. […] Ich will den Schmerz nicht, aber ich will ihn. Aber was, wenn er ohne den Schmerz nicht zu haben ist […]?“ (S. 273) Während sich die Buchpreis- und Büchner-Preis-Gewinnerin Terézia Mora in ihrer vergangenen Romantrilogie auf einen jeweils männlichen Protagonisten fokussiert hat, kündigt sie nun mit „Muna“ ein Terzett der Weiblichkeit an. Die titelgebende Protagonistin hangelt sich durch ihr Leben, sucht Halt und erntet oftmals Zurückweisung. Den Umgang mit dieser Ablehnung schildert Mora eindrücklich, a die Substanz gehend und mit einem unnachahmlich nonchalanten Erzählton. Munas Beziehung zu den Männern in ihrem Leben ist von einer ungesunden Form der Unterordnung gekennzeichnet. Schon die erste Begegnung mit Magnus zeigt ihre Tendenz, sich ihm komplett hinzugeben, zur Wunscherfüllungs-Maschine zu werden. Und dennoch gelingt es Terézia Mora aufs Feinste ihre Protagonistin nicht zur Opferfigur zu stilisieren, keineswegs: Muna und ihre Männer begegnen sich in einem Auf und Ab auf Augenhöhe, fechten ihre Streitigkeiten und Revierkämpfe miteinander aus, ohne sich gegenseitig etwas zu gönnen. Mora lässt uns als Leser*innen dabei permanent in Munas Kopf hineinschauen, setzt ihre Gedanken, die sie niemandem sonst anvertraut, in Klammern, streicht verworfene Überlegungen im Text durch. Der Roman bekommt somit einerseits eine textuell experimentelle Ebene, die aber gleichzeitig eine psychologische Spiegelung von Munas Seelenzustand darstellt. Der Fragilität, die sich in der stetigen Selbstversicherung ihrer eigenen Person oder dem (Nicht-)Erfolg ihres beruflichen wie auch sozialen Handelns widerspiegelt , setzt Mora eine gleichermaßen immer wieder auch meinungsstarke, durchsetzungsfähige, robuste Muna gegenüber, die sich machetenartig durch ihr Leben schlägt. Die toxische Männlichkeit, der sie begegnet, wird dabei zum Spielball ihrer Gefühlswelt, eine Konterkarierung, die die Erzählung zu jeder Zeit in die eine oder andere Richtung kippen lässt. Dieser literarische Schwebezustand ist ungemein fesselnd und vermag einen Sog zu erzeugen, der die 450 Seiten wie im Flug vergehen lässt. Terézia Mora gilt zu Recht als eine der versiertesten Erzähler*innen Deutschlands, die mit „Muna oder Die andere Hälfte des Lebens“ einmal mehr zeigt, wie vielschichtig der menschliche Charakter sein kann. Die Uneindeutigkeit ihrer Figuren, das Lustwandeln zwischen moralischen Zuschreibungen, die Entlarvung der wissenschaftlich-akademischen Karrieremechanismen im Universitäts-Kontext, all das wird hier zum Lesegenuss der besonderen Art! Besonders, weil definitiv besonders gut!

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