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Rezension zu
Keine Reue

Ist Reue wirklich Verstand mit Verspätung?

Von: Nadine Schmidt
16.01.2024

Mit ihrem aktuellen Roman “Keine Reue” bleibt die Bestseller-Autorin Ellen Sandberg ihrem Prinzip grundsätzlich treu, feilt aber wieder genau an den richtigen Kanten. Nachdem es ihr mit einigen Büchern schon gelungen ist, die Spannung sogar bis zur letzten Seite aufrechtzuerhalten, war nun langsam aber sicher ein Muster erkennbar. Das macht ihre überzeugende Art zu schreiben, Zeitebenen miteinander zu verweben, interessante Charaktere zu zeichnen und kaum auszuhaltende Spannung zu erzeugen, nicht schlechter. Aber eben irgendwann vorhersehbar. In diesem Roman geht es wieder um eine Familiengeschichte, eng verknüpft mit der RAF in den Achtzigerjahren. Ist Reue wirklich Verstand mit Verspätung? Bezogen auf den Buchtitel “Keine Reue” zeigt das Ehepaar Barbara und Gernot Maienfeld wenig davon, zumindest wenn es um ihre kriminelle Vergangenheit und ihr egoistisches Verhalten geht. Letzteres übertrug sich bei ihren drei Kindern auf eine Erziehung im Landidyll in der Eifel, die man bestenfalls als antiautoritär und frei, aber eben auch als vernachlässigend und kalt bezeichnen könnte. Die Kinder sind mittlerweile erwachsen und haben jeweils ihren Umgang damit gefunden, Zusammenhalt gibt es nur unter den Geschwistern. Amnesie als Schutz? Während die Zwillinge Leon und Luise auf ihre Eltern nicht gut zu sprechen sind – das beißt sich mit der Situation der Eltern, die Geldsorgen plagen und bei ihren Kindern um Unterstützung bitten – hat der älteste Sohn Ben zwar lückenhafte, aber überwiegend schöne Erinnerungen an früher. Dass es aber mit der Erinnerung von Ben nicht zum Besten steht, zeigt sich als er in einen Mordfall verwickelt wird. Er greift beherzt ein, als eine junge Frau in eine äußerst brenzlige Notsituation gerät. Er zeigt Zivilcourage, selbst wenn er ihren Tod nicht verhindern kann, kann sich leider aber an die wesentlichen Szenen nicht mehr erinnern, als er später im Krankenhaus wach wird. Das wiederum wäre aber im Sinne der engagierten Polizistin Charlie, die nämlich sehr wohl zu wissen meint, wer für den Mord verantwortlich ist. Sie hofft also auf ein rasches Erinnern von Ben und heftet sich deshalb äußerst penetrant an seine Fersen. Weißt du wirklich, wer du bist? In ihrem Buch “Keine Reue” macht Ellen Sandberg vieles von dem, was sich bisher bewährt hat und wofür ihre Leserinnen und Leser sie lieben. Sie springt zwischen früher und heute und lässt uns so immer mehr Puzzleteile und Perspektiven zusammensetzen, die die Geschichte komplett machen. Nach und nach erfahren wir so mehr über die Beweggründe für Entscheidungen, schärfen unseren Blick auf die Charaktere und kommen so in der Geschichte immer ein Stückchen weiter voran. Nebenbei erfährt man einiges über die RAF, die Fähigkeiten unseres Gedächtnisses, die Vor- und Nachteile unserer Justiz und die Ambivalenz der menschlichen Psyche. Im Vergleich zu den bisherigen Büchern, drehen sich die Eigenschaften der Charaktere nicht so stark, sie verschärfen sich erschreckend und über die Geschehnisse wird uns klar, warum sie so sind wie sie sind. Das weckt bei einigen Personen mehr Verständnis, Mitleid oder eben schlichtweg Abscheu. Viele düstere Geheimnisse Emotionale Gewalt und dysfunktionale Familien waren schon immer ein wesentlicher Bestandteil der Romane von Ellen Sandberg, mit “Keine Reue” trifft sie einen ganz neuen Nerv. Das Buch mausert sich schon nach wenigen Seiten zum Pageturner, den man mit der Bitte um baldige (Er)Lösung anschreien möchte. Durch die letzten 50 Seiten fliegt man dann nahezu, gierig endlich den letzten und entscheidenden Schnipsel zu lesen. Auch wenn am Ende alles Wesentliche geklärt scheint, lässt Ellen Sandberg ein blasses Fragezeichen stehen, man könnte theoretisch anknüpfen. Eine gute Entscheidung der Autorin, denn die Gewissheit, dass solche Menschen unter uns leben und viele derart düstere Geheimnisse mit sich tragen, ist schon eine sehr mulmige. Der Buchtitel “Keine Reue” scheint erst banal, nach der Lektüre bekommt er ordentlich Gewicht und ist Ausgangspunkt für die Frage, wem man zu wenig und wem zu viel Bedauern ausspricht.

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