Sie haben sich erfolgreich zum "Mein Buchentdecker"-Bereich angemeldet, aber Ihre Anmeldung noch nicht bestätigt. Bitte beachten Sie, dass der E-Mail-Versand bis zu 10 Minuten in Anspruch nehmen kann. Trotzdem keine E-Mail von uns erhalten? Klicken Sie hier, um sich erneut eine E-Mail zusenden zu lassen.

Rezension zu
Vladimir

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Antithetische Unterhaltung

Von: Bjoernandbooks
30.03.2022

Sie ist eine starke Frau. Nach außen auf jeden Fall. Gemeinsam mit ihrem Mann John arbeitet sie, Ende fünfzig, an einem kleinen, renommierten College an der US-Ostküste im Bereich Literaturwissenschaft. Auch als eine ehemalige Studentin ihres Manns deren sexuelle Beziehung vor einigen Jahren aufdeckt und sich daraufhin weitere junge Frauen melden, gerät ihre Welt nicht ins Wanken, denn John und sie haben ein „Abkommen“, führen eine sexuell offene Beziehung. Nichtsdestotrotz hat die Zeit auch an der Innigkeit, der emotionalen Seite ihrer Verbundenheit gekratzt, und sie spürt nur noch wenig wirkliche Nähe zu John. Da betritt Vladimir Vladinski die Bühne: Als Junior-Professor ans College kommend spürt sie sich direkt zu dem knapp zwanzig Jahre jüngeren Kollegen hingezogen, bald schon fast zwanghaft. Während sie sich gefühlsmäßig Vladimir immer näher fühlt, schwindet die Vertrautheit zu John zusehends, vor allem, da auch Tochter Sidney – aufgeklärt und rebellisch – die Trennung nahezu einfordert. Eine Beisammensein mit Vladimir in ihrer Waldhütte wird zum folgenschweren Ereignis: für Vladimir, John und sie... „So viele Systeme zerstört. So viele Knoten entwirrt, gelöst“ (S. 344) Mit „Vladimir“ hat Julia May Jonas ihr Romandebüt vorgelegt und nimmt uns mit in eine Welt der Selbstreflexionen. Die Ich-Erzählerin treiben vielfältige Themen um: ihr Älterwerden, ihre optische Erscheinung, die Optik der sie umgebenden Menschen, besonders der Männer, ihre Position als Frau in der (universitären) Gesellschaft – und der große Kosmos um Liebe und Sexualität, Begehren und Gefühl. Besonders zu Beginn und am Ende von „Vladimir“ werden wir als Leser*innen dabei von „ihr“ immer wieder konkret angesprochen, werden zu Dialogpartnern. Der titelgebende Vladimir steht dabei gar nicht so sehr im Fokus, wie man zunächst vermuten könnte. Einerseits fungiert er zwar durchaus als konkretes Objekt der Begierde, andererseits ist er aber vielmehr Projektionsfläche. Am Beispiel seiner Person und Erscheinung verhandelt das Ich ihre eigene Entwicklung als Frau, reflektiert ihre Beziehungen, Affären und Liebeleien der Vergangenheit und zieht Vladimir immer wieder als Bezugspunkt heran. Sicheres Auftreten nach außen und eine große innere Zerrissenheit ob der stetig notwendigen Selbstversicherung, gut genug zu sein – beruflich, als Frau im Privaten, als Liebhaberin, Mutter und Freundin –, stehen einander diametral gegenüber. Julia May Jonas verpackt diese Gedankenspielereien, diesen inneren Monolog, diese in den besten Momenten bewusstseinsstromartige Erzählung mit einer gehörigen Prise Humor und Leichtigkeit. Überhaupt gelingt ihr das Spiel mit den Gegensatzpaaren „leicht und schwer“, „humorvoll und ernst“ sowie „lapidar/lakonisch und pointiert“ ausgezeichnet, führt sie uns sprachlich doch komplett in die Welt der Ich-Erzählerin, ohne universitär belehrend zu wirken. Und dennoch, bei aller Freude über die exzellente Erzählkunst der Autorin, bleibt ein kleines Fragezeichen zurück, die Frage nach dem „Wohin führt das Ganze?“. Im großen Finale löst Julia May Jonas die Fäden nach und nach auf, konstruiert eine Art Läuterung, die hier spoilerbedingt nicht weiter ausgeführt werden soll. Vladimir, John und auch die Ich-Erzählerin sind mit einer anderen Realität konfrontiert, die ihre Werte und Lebensanschauungen neu ordnen. Hier klären sich Fragen, aber es stellen sich neue, die nach dem „Ist das jetzt nicht ein bisschen zu dick aufgetragen?“. So richtig kann ich diese am Ende nicht beantworten, aber „Vladimir“ war für mich eben genau das: eine Lektüre, die bravourös mit Unterschieden, mit Kontrapunkten arbeitet. Unterhaltend, feministisch klug und raffiniert konstruiert!

Wir stellen nicht sicher, dass Rezensent*innen, welche unsere Produkte auf dieser Website bewerten, unsere Produkte auch tatsächlich gekauft/gelesen haben.