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Rezension zu
Das verlorene Paradies

Das Paradies als Gegenteil der Zukunft?

Von: Michael von Kuhle Bücher
11.01.2022

Yusuf ist zwölf Jahre, als er am Bahnhof nicht nur die wenigen Züge bestaunt, sondern selbst einsteigt und zum Meer fährt. Onkel Aziz, ein edler Kaufmann, nimmt ihn mit in seine Stadt am Meer, in sein Haus mit großem Garten, großen, Schatten spendenden Bäumen, Orangen und Granatäpfeln, einem großen Teich mit Springbrunnen und kleinen Kanälen. Yusuf ist zwölf, als er sein Paradies verliert, als sein Vater eine Schuld begleicht bei Onkel Aziz, der nie sein Onkel war, nun aber sein Seyyid wird. Die Jahre vergehen schnell fernab der Familie und Yusuf wächst heran zu einem bildhübschen Mann. Die abergläubischen Bewohner:innen der Gegend sprechen ihm heilige Kräfte zu. Um ihn zu schützen, nimmt der Seyyid Yusuf mit auf seine Karawane ins Landesinnere, lässt ihn Lektionen lernen und später bei einem Handelspartner in den Bergen zurück. Auch dort lernt er viel über das Leben, die Menschen, die Natur, Gott und über sich. Yusuf wird zum Talisman der reisenden Karawane und ein Glücksbringer, der von seinem Glück gar nichts weiß. Wovon er weiß, sind die vielen Fragen und die Worte der Männer, die meinen, die Askaris, die Deutschen kommen und nehmen, ohne zu geben. Auf seiner Reise erlebt der Protagonist das Ende des traditionellen Lebens in Ostafrika, das Bersten tribaler Strukturen und des althergebrachten Handels mit Waren und Sklaven. Die europäischen Mächte kolonialisieren den schwarzen Kontinent und zwingen ihm ihr Leben auf. Abdulrazak Gurnah schreibt auf 321 Seiten zuzüglich Glossar von dieser Zeit geradezu mystisch. Seine literarische Welt aus Glauben und Aberglauben, Gottvertrauen und Lästerung wird schattiert von Afrikas Wildnis, Weite, Brutalität, die zwischen den Menschen, so ungleich sie auch sein mögen, vertraute, manchmal sogar liebevolle Züge annimmt. Gleichwohl sind Armut und Unfreiheit Stützen einer sterbenden Kultur und Säulen des bereits 1994 erschienenen Romans ‚Das verlorene Paradies‘. Mit Gurnahs Durchbruchsroman ist hingegen keine Zeit verloren – ganz im Gegenteil. Gurnah hat ein modernes Märchen aus alten Zeiten zu Papier gebracht, das zwar durch seine Fülle an Namen und arabischen Begriffen den Lesefluss stört, nichtsdestotrotz mitnimmt in die multiethnische Welt Ostafrikas vor 120 Jahren. ‚Das verlorene Paradies‘ ist ein Roman, der nicht schont, der erbarmungslos ist wie die Steppe. Der verzaubert und mitreißt und moralisch wenig kommentiert, was einerseits verstört und andererseits ganz wohltuend ist und für tiefe innere Ruhe spricht. Mein Fazit: Anderthalb Daumen hoch.

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