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Rezension zu
Was Schildkröten im Schilde führen

Was Schildkröten im Schilde führen

Von: Keinhorn
16.09.2021

„Was Schildkröten im Schilde führen“ von Maria Keim beginnt mit einer, dem Titel angemessenen und ziemlich lustigen Eröffnungsszene, in der sich die beiden Protagonist*innen (die Schildkröte ist genderneutral) erstmals begegnen: Malin, eine junge Oberstufenschülerin, bemerkt auf dem Vorplatz des Kölner Doms eine Schildkröte, die, auf einer Kiste mit ihren Habseligkeiten hockend, ein Schild hochhält. Sie ist auf der Suche nach einer ökologisch einwandfreien Wohngemeinschaft. Malin nimmt sie mit nachhause, sie wohnt mit ihrem Vater, einem überlasteten Hausarzt, und ihrer seit dem Tod des Großvaters zunehmend dement werdenden Oma in einem Einfamilienhaus am Waldrand. Die Schildkröte zieht ins Baumhaus (theoretisch) und es entspinnen sich zunehmend interessante Dialoge zwischen den beiden. Die Schildkröte ist engagierte*r Klimaaktivist*in, anscheinend sehr gebildet (angeblich persönlich mit Albert Einstein bekannt) und hat, wie Malin, ein Faible für Wortspiele und extravagante Formulierungen. Das ist manchmal witzig und clever („Warum ist ein Palindrom eigentlich kein Palindrom?“), wirkt an anderen Stellen ein bisschen gezwungen (wenn etwa eine Zigarette als „Lungenbrötchen“ bezeichnet wird) und wie man sich „mental gegen die Stirn schlagen“ kann, habe ich auch nicht ganz verstanden. Insgesamt ist es aber niedlich, wie Malin und die Schildkröte ihre Leidenschaft für Wortneuschöpfungen teilen und darüber ins Gespräch kommen. In den Dialogen werden wichtige Begriffe und politisch-ökologische Zusammenhänge der Klimakrise auf lustige und zugleich präzise Weise erörtert. Der Text schafft dabei häufig einen ziemlich grandiosen Spagat zwischen tragischer Realität und komischer Darstellung – wenn z. B. die Schildkröte von ihrer „mal links- mal rechtsradikalen“ Hühnerfreundin berichtet, die den Qualen der Bodenhaltung entflohen ist, während Malin sich gerade Chicken Nuggets zubereiten will. Auch Begriffe wie Rassismus, Spezismus, Sexismus werden erklärt, wobei die Schildkröte sich aber zugleich irritierend widersprüchlich verhält. Malins Schwarzem Klassenkameraden drückt sie erstmal einen rassistischen Spruch, dann beleidigt sie intolerant eine Teichkröte (die sich *Spoiler* später als seltene Art entpuppt und damit indirekt den Wald rettet) und eine Sexarbeiterin/Influencerin (?) auf dem Polizeirevier shamed sie wegen deren freizügiger Strumpfhose. Vielleicht ist diese Ambivalenz der Schildkröte aber auch beabsichtigt und will darauf verweisen, dass niemand perfekt sein muss, um der Welt an den Stellen zu helfen, die er*sie selbst eben versteht und erreichen kann. Ich mochte sehr die Vorlesestimmen von Nellie und Katharina Thalbach, auch wenn die Schmatzgeräusche der Schildkröte beim Essen vermutlich ein Grauen für jeden Misophoniker sein dürften. Passt aber wiederum sehr gut zu dem manchmal etwas anstrengenden Auftreten der Figur. Unterm Strich mochte ich die Geschichte und sie bringt auf vielerlei Arten zum Nachdenken. So ganz warm bin ich mit den Charakteren nicht geworden, obwohl die Familie insgesamt sehr liebevoll und unklischeehaft dargestellt wurde. Die Schildkröte hat mich ein bisschen an Marc-Uwe Klings Känguruh erinnert, nur weniger links, deutlich mehr grün und maybe, vielleicht ist das einfach eine persönliche Präferenz. Letztendlich ist es eine wirklich gute, für viele Arten von Lesern lustig und verständlich aufbereitete Darstellung von Zusammenhängen, die wir wohl alle kennen sollten, wenn wir auch in dreißig Jahren noch Bücher lesen können wollen.

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