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Rezension zu
Das geschwärzte Notizbuch

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Kunst und Moral

Von: Franziska_J
19.01.2020

„Seit fünf Jahren schon sehe ich keinen Sonnenaufgang mehr. Seit fünf Jahren schon sehe ich keinen Baum mehr. Seit fünf Jahren schon sehe ich keine Wolke mehr.“ Jeden Morgen zwischen sechs und sieben Uhr hält der Autor Pablo seine Gedanken in einem Notizbuch fest. Anschließend streicht er alles mit einem dicken schwarzen Stift wieder durch. Schon seit mehreren Jahren wird der begnadete Schriftsteller von dem Regisseur Santiago Salvatierra gefangen gehalten, damit er für ihn Drehbücher schreibt. Salvatierra ist nämlich von der Idee besessen, der beste Regisseur aller Zeiten zu werden und das Medium Film völlig neu zu erfinden. Nur leider kann er, wie so viele Regisseure, nicht schreiben, weshalb dies nun Pablo übernehmen muss. Was sich dann zwischen Pablo und Salvatierra entwickelt, ist eine seltsame Beziehung aus gegenseitiger Verachtung, teilweise sogar Hass und gleichzeitiger Abhängigkeit, die doch in eine fruchtbare Symbiose der beiden Künstler führt, aus der ein Meisterwerk entsteht. „Zündende Ideen. Santiago zwingt diese Ideen gerne herbei; er ist überzeugt davon, dass man sie ausgraben kann. Aber die Ideen, die funktionieren, sind solche die ganz von selbst auftauchen, die sich unverhofft zeigen, ohne sich aufzudrängen. “ Liest man den Klappentext von Das geschwärzte Notizbuch, so vermutet man, dass es sich bei diesem Roman um einen Krimi oder Thriller handelt. Man erwartet Erniedrigungen, Grausamkeit und Fluchtversuche des Opfers. Doch nichts davon kommt vor. Pablo hat sich an seine Gefangenschaft gewöhnt und hegt keinerlei Fluchtgedanken. Vielmehr geht er auf eine seltsame Weise in seiner Kunst, die er unter diesen extremen Bedingungen schaffen muss, auf. Echte Krimifans kommen hier also nicht wirklich auf ihre Kosten, doch dieser Roman hat so vieles mehr zu bieten. Er erforscht nämlich auf eine faszinierende Weise das Verhältnis von Kunst und Moral und beleuchtet immer wieder neue Facetten der Frage: Wie weit darf Kunst gehen? Nicolás Giacobone, selbst erfolgreicher Drehbuchautor und Oscar-Preisträger, gibt mit Das geschwärzte Notizbuch außerdem einen interessanten Einblick in den künstlerischen Schaffensprozess, der von allerlei Ängsten und Zweifeln geprägt ist. Das Buch überzeugt außerdem durch psychologisch ausgefeilte Figuren. Pablo, das eigentliche Genie und Erzähler des Romans, ist eher der ruhige, introvertierte Typ, erzählt in seinem Notizbuch aber doch immer mit viel Witz und einer gehörigen Portion Ironie, während Salvatierra als ein cholerischer und selbstgerechter Hochstapler dargestellt wird. Die Dreistigkeit, mit der sich der Regisseur Pablos Erfolge aneignet, ist so absurd, dass man als Leser mehr als einmal schmunzeln muss. Das geschwärzte Notizbuch – ein ungewöhnlicher, reflektierter und teils auch philosophischer Roman, der sich außerhalb fester Genregrenzen bewegt.

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